Die Schüler Johann Sebastian Bachs

Die direkten Schüler Carl Philipps Emanuel Bachs

In das Jahr 2014 fällt der 300. Geburtstag dieses Komponisten. Vermutlich wird es etliche Erkenntnisse und entsprechende Artikel, Aufnahmen geben.

Weiterführende Literatur:

  • Carl Philipp Emanuel Bach Konzepte, Sonderband 4. Hieraus:
    • Joachim Kremer: "Lehrmeister der Dilettanten"- oder schlechter Kantor?
    • Barbara Wiermann: Die "Bachsche Schule"
  • C.P.E. Bach Studies (1988). Hieraus:
    • Pamela Fox: The Stylistic Anomalies of C.P.E. Bach´s Nonconstancy
  • C.P.E. Bach studies (2006). Hieraus:
    • Christopher Hogwood: "Our great old favourite", Burney, Bach, an the Bachists
    • David Yearsley: C.P.E.Bach and the living traditions of learned counterpoint.

Auf einen "kleinen" Schwachpunkt möchte ich jedoch hinweisen, der bislang etwas stiefmütterlich behandelt wurde: wer waren eigentlich die Schüler CPEB´s? Kaum ein Komponist der damaligen Zeit konnte es sich leisten, keine Schüler zu haben, so auch nicht CPEB. Wichtig ist jedoch diese Frage aus folgenden Gründen:

"Lebet in Frankfurth an der Oder p.t. als Studiosus u informiret auf dem Clavier", so Vater Bach, 1735.

"...hat durch seinen unermüdeten Fleiß sehr gute Fertigkeiten im Orgel- und Clavierspielen erlangt, indem er nicht nur meine Arbeiten, sondern auch die, VON MEINEM SEELIGEN VATER, und anderen guten Meistern...fleißig geübt hat." So CPEB 1786! in seinem Zeugnis für Johann Heinrich Olbers.

" So groß er als Clavierist erscheint, eben so groß ist er als LEHRER des Claviers. Niemand versteht die Kunst, Meister zu bilden, besser als Er. Sein großer Geist hat eine eigene Schule gebildet, die Bachische. Wer aus dieser Schule ist, wird in ganz Europa mit Vorneigung aufgenommen". So Friedrich Daniel Schubart in seinen "Ideen zu einer Ästhetik der Tonkunst" 1801.

Diese Zitate sind nur ein kleiner Überblick. Fakt ist, dass CPEB Schüler hatte, die mit den (Clavier)Werken des Vaters JSB geschult wurden, mit diesen in Verbindung traten, also der klassische Fall von Enkelschülern. Nur, wer waren denn diese?

Die Liste der "gesicherten" Schüler ist recht kurz:

  • Johann Christian Bach, der 1750 nach dem Tode seines Vaters zu CPEB nach Berlin zog.
  • Erbprinz Carl Eugen von Württemberg. Von ihm sind keine Kompositionen bekannt, dafür die ihm gewidmeten "Württembergischen Sonaten".
  • Ernst Friedrich Müller    ?????
  • Joachim Busse   ??????
  • WAT Roth (1720 - 1764), Organist an St. Petri/Berlin
  • Carl Volkmar Bertuch (1730 - 1782), ebenfalls Organist an St. Petri/Berlin, keine Clavierwerke sind von ihm bekannt.
  • Jakob Lefevre (1723 - 1777), Violinist bei dem Prinzen Heinrich Preußen
  • Franz Brennessel (?), Harfenist, keine Werke sind von ihm bekannt.
  • Carl Friedrich Fasch (1736 - 1800), Cembalist und Nachfolger CPEB´s in Berlin.

Auch aus der Hamburger Zeit gibt es "gesicherte" Schüler:

  • Caspar Siegfried Gähler ( 1747 - 1825), später Bürgermeister von Altona, hat nicht komponiert.
  • JPT Nehrlich (1770 - 1812?), Clavierlehrer in Dorpat, Moskau
  • Johann Heinrich Olbers ( ? - 1838), Organist an St. Wilhadi/Stade
  • Justus Theodor Rauschelbach (1755 - 1813), Domorganist in Bremen
  • Niels Schiörring (1743 - 1798), Hofcembalist in Kopenhagen
  • CFG Schwenke (1767 - 1822), Nachfolger von CPEB in Hamburg
  • CG Zierlein (?), Kapelldirektor Ermland, Dublin
  • Johann Georg Witthauer (1751 - 1802), zulwtzt Organist an St. Jacobi, Lübeck

Eine ungemein informative Liste, wir kennen sicherlich alle diese Namen. Diese Liste hatte Schubart mit Sicherheit nicht vor den Augen, als er o.a. Zitat schrieb. Entweder hat er unter Schüler CPEB´s, "Bachsche Schule" bessere Quellen, Informationen gehabt, oder etwas anderes darunter verstanden.

Zugegeben, die derzeit zur Verfügung stehende Quellenlage ist dürftig. Vielleicht kommen im Zusammenhang mit 2014 neue, bessere Quellen zum Vorschein. Denn ab jetzt tasten wir im Nebel: waren denn Nichelmann, Agricola Schüler CPEB´s oder nicht? Hertel? Die Zincks? Hüllmandel? Dussek? Wenkel? Hinzu kommt, dass CPEB ab 1750 zu einer Berühmtheit wurde, erst in Deutschland, später auch in Europa. Beigetragen haben dazu sein "Versuch", mehr noch der rasant ansteigende Notendruck, dem bekanntlich CPEB sehr angehangen hat. Es konnte folglich gut der Fall eintreten, dass angehende Musiker die Werke CPEB´s kannten, sie studierten und verinnerlichten, ihm sogar persönlich begegnet sind, ohne je eine Stunde Unterricht zu erhalten. Nimmt man das zur Kenntnis, lässt sich das Zitat Schubarts besser begründen. Der berühmteste Schüler CPEB´s war übrigens Beethoven. Er hat Bachs Werke (Vater und Sohn) über seinen Lehrer Neefe kennen gelernt, gespielt, und sie bis an sein Lebensende hoch geschätzt, wie seine Briefe an Breitkopf & Härtel beweisen.

Wie dem auch sei, etliche seiner (möglicherweise nur) "virtuellen" Schüler sind ja hier aufgeführt. Erheblich schlechter sehen jedoch die Möglichkeiten aus, auf Werke seiner nachweislichen Schüler zurück zu greifen. Die obige Namensliste lässt es erahnen. Sie haben entweder nicht komponiert, oder Werke sind kaum fassbar. Auch RISM hilft da nicht entscheidend weiter. Doch halt! Das Archiv der Singakademie Berlin, eine hervorragende Quelle für Musik aus dieser Zeit und Region bietet etwas, nicht viel, aber immerhin: jeweils eine Sonate für Clavier von Jakob Lefevre und WAT Roth.

Zuvor: die Betrachtung eines Lehrer/Schülerverhältnisses birgt eine Gefahr. All zu oft werden nämlich die Werke des Schülers mit denjenigen seines Lehrers verglichen, worauf häufig die süffisante Bemerkung folgt "ach, das hat er da geklaut, gefunden und wiederverwertet". Und schwupps! landet er unter der Rubrik Epigonen. Sehr deutlich kann dieses Vorgehen bei dem Lehrer/Schülerverhältnis JSB/JK Krebs beobachtet werden. Schreibt Krebs im Stil Bachs, ist er Epigone ("das Thema hat er doch aufgegriffen"), oder, schreibt er nicht so folgt: "von der Schülerschaft Bachs ist hier nun wirklich nichts zu bemerken". Kennen wir die Hintergründe, die zu den Kompositionen führten? Für Liebhaber mit überschaubaren technischen, musikalischen Fähigkeiten, die etwas zum Spielen brauchten? Für Schüler? Zeitbedingte Musikfloskeln, auf die auch die "großen" Meister nicht verzichtet haben? Geschmacksfragen? Da wir die Antworten nicht kennen, sollten wir vorsichtiger mit den Bewertungen werden, denn auch für anerkannt große Meister sind geniale Schüler nicht vom Himmel gefallen. Sie waren und sind selten genug.

Ein weiteres Problem stellt sich sofort: wie kann die "CPE Bachschule" definiert werden, welches sind ihre Markenzeichen? "Irgendwie anders als die Süddeutschen" dürfte da nicht ausreichen. Das war übrigens schon den Beteiligten damals aufgefallen, und führte zu teilweise bissigen Kommentaren. Pamela Fox hat einen Definitionsversuch vorgestellt: "Ähnlichkeit in Art, Anwendung und Typus der Verzierungen; puntierte Rythmen; Unisono-Schreibweisen; Ähnlichkeit mancher Figurationen; Vermeidung von Albertibässen; größerer harmonischer Tiefgang; schroffe harmonische Brüche; Einsetzen von Generalpausen; angereicherte Textur". Alles richtig, aber es sollten auch Zeugnisse der damaligen Zeit vorgestellt werden, welche die Unterschiede von einer weiteren Seite beleuchten:

a) CPE Bach (zitiert aus einem Brief Matthias Claudius an Wilhelm von Gerstenberg) über die Musik seines Bruders Johann Christian und Schobert: "..aber hinter seiner und meines Bruders itziger Komposition IST NICHTS. Sie fällt hinein (ins Ohr) und füllt es, lässt aber das Herz leer.....(die Musik) soll nicht das Ohr, sondern das Herz füllen"

b) Rezension aus den "Unterhaltungen" (Hamburg 1770, Band 10, Seite 347): " ..Und doch wetten wir, Hr. Bach wird keine Trommelbässe, kein Geklimper und Geräusch von gebrochenen Akkorden, kein paukenmäßiges Überschlagen der Hände, keine polternden Läufe durchs ganze Clavier, kein heulendes Wettrennen durch die halben Töne auf und nieder, keine von allen den Modeschönheiten der Neu=Italiäner und ihre Nachäffer unter den Deutschen, Franzosen......alles wird er nicht anbringen"

Klartext: diese Musik wurde als oberflächlich, als seichtes Modegeklimper wahrgenommen und abgetan. Der Vergleich ist nachvollziehbar, und sollte von den heutigen Spielern und Hörern berücksichtigt werden.

1760/61 werden von Haffner/Nürnberg zwei Bände gedruckt und veröffentlicht, unter dem Titel "collection recreative". Sie enthalten jeweils sechs Sonaten von Komponisten des Berliner "Felds". Eröffnet werden diese Bände jeweils durch eine Sonate von CPEB, H 132, h-moll und H 41, C-Dur. Es folgen jeweils eine Sonate von CF Fasch, B-Dur und G-Dur. Band 1 enthält dann weiterhin Sonaten von Lefevre, Marpurg, Rackemann, Roth. Band 2 enthält weitere Sonaten von Busse, Janitsch, Kirnberger, Krause. Wollny vermutet, dass CPEB die Auswahl der Sonaten empfohlen hat, schon weil er langjährige Geschäftsbeziehungen zu Haffner hatte. Weiter Wollny: "Die zwölf Sonaten sind in ihrem Anspruch, ihrer kompositorischen Qualität natürlich nicht gleichwertig, zeigen aber doch durchweg ein bemerkenswert hohes Niveau.....und entsprechen recht genau der stilistischen Bandbreite von Bachs Berliner Klaviersonaten".

Betrachtet man nun die sechs Sonaten aus "collection 1", so kann man tatsächlich feststellen, dass die Werke qualitativ unterschiedlich sind, jedoch hohes Niveau besitzen. Setzt man dazu noch die jeweiligen Sonaten CPEB´s und Faschs als "Norm" für höchste Qualität, so ergibt sich folgendes Bild:

- Die Sonaten von Lefevre und Marpurg sind "gearbeitet" geschrieben, d.h. linke und rechte Hand werden einigermaßen gleich berücksichtigt, zweistimmige Polyphonie stellt sich hin und wieder ein, sie sind schroffer und harmonisch schärfer.

- Die Sonaten von Rackemann und Roth sind fast ausschließlich Oberstimmen-dominiert, empfindsamer, manchmal etwas "Klopfbass"-lastig.

Diese Sonaten entsprechen folglich den "Berliner" Modellen, unter der Führung von CPEB. Angemerkt sei, dass Lefevre sich im Finalsatz seiner G-Dur Sonate eine Sonderheit leistet: er beginnt den Satz mit einem (nicht so unbekannten) Fugenthema in der rechten Hand, und liefert gleich in der linken Hand den Contrapunkt mit. Mit Recht wird eine Schlussfuge erwartet, die jedoch nicht kommt. Es wäre auch für eine norddeutsche Claviersonate äusserst ungewöhnlich. Es folgt ein "klassischer" Sonatensatz mit Doppelstrich, Durchführung und Reprise. In wenigen Takten zeigt jedoch Lefevre, dass er durchaus in der Lage gewesen wäre, daraus eine Fuge zu komponieren.

Liegen die musikalischen Schwerpunkte der mehr "gearbeiteten" Sonaten in den Ecksätzen, vor allem den Schlusssätzen (die langsamen Sätze bei Lefevre und Marpurg fallen etwas ab), verhält sich das bei den "empfindsameren" Sonaten von Rackemann und Roth umgekehrt. Dort sind die langsamen Sätze (selbstverständlich in einer Molltonart) die Schwergewichte.

"Collection recreative", 2. Band bietet ein sehr ähnliches Bild. Zu Beginn stehen wiederum jeweils eine Sonate von CPEB (C-Dur, H. 41) und CF Fasch (G-Dur), erwartungsgemäß auf sehr hohem Niveau. Dann folgen Sonaten von Joachim Busse (Es-Dur), Janitsch (B-Dur), Kirnberger (D-Dur) und Christian Gottfried Krause (Es-Dur). Dieser, als Sohn eines Stadtpfeifers 1719 geboren, musikalisch folglich vorgebildet, studierte in den 1730er Jahren Rechtswissenschaften in...Frankfurt/Oder. Es ist anzunehmen, dass er dort engen Kontakt mit seinem Mitstudenten der Rechtswissenschaft CPEB hatte, der dort auch das Clavier unterrichtete. Nun, CPEB ergriff den Beruf des Berufsmusikers, Krause hingegen wurde Jurist und Advocat, jedoch stets in enger Verbindung mit der Musik. Einige seiner Kompositionen (Kirchenkantaten, Der Tod Jesu, Lieder, Kammermusik) sind erhalten. Sein wichtigster Beitrag zur Musik ist jedoch sein Buch "Von der Musikalischen Poesie", ein Schlüsselwerk der Musikästhetik, unerlässlich zum Verständnis der Musik der Empfindsamkeit und des Sturm und Drangs. Ich erlaube mir, Krause unter die direkten Schüler CPEB´s einzuordnen.

Die Sonaten von Busse und Krause, beide in Es-Dur, ähneln sich sehr, entsprechen den Vorstellungen von CPEB inhaltlich wie kompositorisch und stehen auf beachtlichem Niveau, vor allem die Schlusssätze. Falls CPEB Einfluß auf die Aufnahme der Stücke in die "Collection recreative" genommen haben sollte, hat er eine kluge Entscheidung getroffen.