Die Schüler Johann Sebastian Bachs

Was ist eigentlich unter "Klassischer Stil" zu verstehen?

Jeder Musikliebhaber hört es sofort. Zwischen den Werken der Mannheimer Schule und denen der Bachschüler liegen Welten, obwohl die Werke mehr oder weniger zeitgleich entstanden sind. Beim ersten Hinhören klingen die Mannheimer sehr viel "moderner", Haydn und Mozart ähnlicher, eingängiger, strahlender, fröhlicher. Die Stücke der Bachschüler sind schwieriger zu erfassen, diffuser und komplizierter. Diese Behauptung gilt "grosso modo" für die "lutherische" Musik des 18. Jhdt. allgemein. Woran liegt das?

Zunächst soll darauf eingegangen werden, wie in der Musik Spannung auf- und wieder abgebaut wird. Wir dürfen nicht vergessen, dass diese Frage zu den Grundproblemen jeder Musikrezeption gehört - wir merken dies bewusst oder unbewusst.

Der brave Gymnasiast, der im Musikunterricht aufpasst und nicht Skat spielt, lernt es relativ frühzeitig, wie "klassische Musik" strukturell aufgebaut zu sein hat. Sonatensatz, Sinfonie, Rondo, Variationen, ein bisschen Harmonielehre. Irgendwann kommt die C- Fuge aus dem 1. Teil des WT als "Musterbeispiel" einer Fuge dran. Ansonsten wird der Sonatensatz, als vermeintliches Herzstück klassischer Form wie in einer DIN-Norm erklärt:

Exposition - 1. Thema, 2. Thema (bitte kontrastierend), Seitensatz, Ende in der Dominante.

Durchführung - beide Themen oder Partikel davon werden verarbeitet, in entferntere Tonarten moduliert, gegebenenfalls neues Themenmaterial eingeführt (vornehmlich um Mozart zu retten), Ende mit der Tonika, womit die Reprise - einsetzt, bitte das 2. Thema jetzt in der Tonika wie der Satzschluss, sehr große Meister bieten dann noch eine Coda - meist in der Tonika, um diese endgültig zu festigen - eine Behauptung, deren Logik sich mir völlig entzieht.

Harmonisch, so sagen diese Oberlehrer, basiert die musikalische Spannung auf folgendem Verhältnis: Tonika (neutral) - Dominante (härter) - Subdominante (weicher). Alles harmonische Geschehen wird auf die Tonika bezogen. Wer nach dieser DIN-Norm komponiert ist schon nahe an der Seligsprechung durch die Normierer. Wehe jedoch, ein Komponist wagt es, sein Stück als Sonate zu titulieren und entspricht nicht dieser Norm; das Verdammungsurteil ist schnell bei der Hand: CPE Bach hat die Rohform gelegt, aber noch nicht so ganz gekonnt (es hapert meist mit dem 2. Thema), Haydn wird diskret übergangen oder krampfhaft verbogen, Mozart hat so schöne weitere Themen eingeführt, dass er dieser Form als Götterliebling nicht eigentlich bedurfte (aber gemerkt haben wir es doch), erst Beethoven erfüllt die Norm, womit ein weiterer Stein zum Titanenmosaik gelegt wird.