Die Schüler Johann Sebastian Bachs

Warum sind J.S. Bachs Werke so interessant?

Nachdem in den letzten Kapiteln, teilweise etwas polemisch, auf J.S. Bachs mittelbare Wirkung auf die Folgezeit eingegangen wurde, sollen jetzt seine Werke eingehender betrachtet werden. Einziger Blickwinkel hierbei ist, warum gerade sie für die spätere Generation so fruchtbar wurden.

Um es von Anfang an klarzustellen: Bei Bach hat es keinen wie auch immer gearteten Stilbruch gegeben, sondern nuancenartige Veränderungen, wechselnde Schwerpunkte im Schaffen. Dies zeigt sich deutlich in Bachs ständigen Bearbeitungen seiner Werke, auch der in jungen Jahren geschaffenen. Als Musterbeispiel mag hierfür des Präludium und Fuge in a für Cembalo stehen, welches am Ende seiner Schaffensperiode zu einem Konzert für Traverso, Violine und obligates Cembalo umgearbeitet wurde, und ein Musterbeispiel eines "Sturm und Drang"- Konzerts  darstellt. Der langsame Satz stammt aus einer stilistisch späten Orgel - Triosonate und fügt sich mit seinem empfindsamen Stil wunderbar in das Werk ein. Auch war sich Bach darüber im Klaren, dass er für die Nachwelt komponierte. Seine Sammel- und Aufbewahrungsleidenschaft zeigen dies deutlich.

Zum Einstieg: aufmerksamen Hörern kann es nicht entgehen, dass die Orchestersuite in h und die Flötensonaten in E, Es und h aus dem Ensemble der übrigen Gruppenwerke herausfallen: sie bestechen durch ihre Eleganz, atmen einen anderen Geist. Ja, die Flötensonaten in E und Es sind geradezu schon richtig "dekadent" im Vergleich zu den meisten anderen Werken, wie übrigens auch die Triosonate aus dem Musikalischen Opfer. Alle diese Stücke sind Spätwerke und nicht, wie früher angenommen, in Köthen entstanden.

Nicht nur in der Kammermusik, sondern auch im Klavierwerk Bachs lassen sich diese Veränderungen nachweisen. Hier besonders deutlich, da Bach in seinen späten Jahren vornehmlich für Tasteninstrumente schrieb. (Clavierübung I-IV, WT II, kanonische Variationen über "Vom Himmel hoch", Kunst der Fuge). Die beiden Teile des "Wohltemperierten Claviers" bergen erhebliche stilistische Unterschiede, die 6 Partiten sind mit den 6 englischen Suiten nicht mehr zu vergleichen, die Ouvertüre im französischem Stil hat nur wenig gemein mit den 6 französischen Suiten. Fantasie und (unvollendete) Fuge in c steht singulär da, das dreistimmige Ricercar aus dem "Musikalischen Opfer" und die Kunst der Fuge sprechen eine andere Sprache als frühere Bachsche Fugen. Auch die späten Präludien und Fugen für Orgel in h, e, C, reihen sich nicht mehr nahtlos in das übrige Orgelwerk ein.

Leider ist es mit Worten schwierig dem Leser die Unterschiede der beiden Teile des WT klar zu machen. Trotzdem soll es versucht werden.

Welche Unterschiede fallen auf:

  • Vermeidung von "Motorischen Flächenpräludien"
  • Grosse Anzahl zweiteiliger Präludien (Sonatensatz)
  • Oberstimmen betont, Häufung von Triolen, Schüttelbässe, weiche Endungen
  • Harmonisch riskanter, teilweise anstrengender zu verstehen.

Insgesamt gesehen wirkt der 2. Teil des WT melodiöser, eleganter, weicher, aber auf der anderen Seite wird dem Hörer harmonisch viel mehr abverlangt. An einem exemplarischen Musterfall soll dies gezeigt werden. Urform der As - Fuge ist eine kleinere F - Fuge aus den Köthener Jahren. Sie ist 4-stimmig über ein schönes, aber keineswegs besonderes Thema mit seinem dazugehörenden chromatischen Kontrapunkt. Die reale Vierstimmigkeit wird erst beim letzten Eintritt des Themas im Diskant erreicht. Diese Fuge war wohl für eine Aufnahme in WT II zu "dürftig", so dass sich Bach zu massiven Erweiterungen genötigt sah. Er übernimmt die harmonisch und kontrapunktisch nicht außergewöhnliche Fuge, transponiert sie insgesamt nach As ohne Änderungen, und steht vor 2 Alternativen:

  • kontrapunktisch draufsatteln
  • harmonisch draufsatteln

Bach entscheidet sich für die zweite Alternative, ohne kontrapunktisch etwas zu ändern: keine Engführung, Umkehrung, Spiegelung und andere "Fugenkünste". Dafür wird die um das Doppelte verlängerte Fuge harmonisch so angereichert, dass sie für Spieler und Hörer anfangs schwierig und stressig wirkt. Ich vermute, dass Bach 20 Jahre früher die kontrapunktische Alternative gewählt hätte.

Ein weiterer wichtiger Punkt in Bachs Schaffen ist die Zunahme spezifisch clavieristischer Virtuosität. Seine späten Clavierwerke sind nun überhaupt nicht mehr auf der Orgel sinnvoll darstellbar. Hier hinein fallen auch die Cembalokonzerte als Ausdruck des Virtuosen. Hörer und vor allem Spieler merken dies sehr schnell.

All das Gesagte ist von Bachs Schülern begierig aufgesogen worden, denn es entsprach dem Empfinden der Zeit. Bach wurde von ihnen als Modernisierer des Klavierstils angesehen.

Zusammengefasst lässt sich für einen Grossteil der späten Klavierwerke folgendes sagen:

  • Verminderung des Kontrapunktes, sofern nicht eine Fuge anstand
  • Erhöhte Virtuosität
  • Harmonisch riskant
  • Oberstimmen betont
  • Eleganz, Durchsichtigkeit

Langsam erschließt sich CPE Bachs Aussage, dass er nur seinen Vater zum Lehrer am Klavier und in der Komposition gehabt habe. Man hört es. Dittersdorf und die Stamitze waren keine Bach-Schüler. Man hört es leider zu deutlich.