Die Schüler Johann Sebastian Bachs

Autorenbeschimpfung

Spätestens nach Durchlesen von 10 Beiheften von Tonträgern weiß man es: alles führt zu Beethoven hin oder kommt von ihm her. Mozarts Klavierkonzert in c (KV 491) gemahnt schon an Beethoven, Brahms´ 1. Sinfonie ist eigentlich Beethovens 10. Da konnten sich alle anderen Komponisten noch soviel Mühe geben, ganz an den Titan sind sie nicht herangekommen. Die Logik eines solchen Vergleiches ist mir völlig fremd, die meisten der zu diesen Zwecken herangezogenen Komponisten lebten vor Beethoven. Gehen wir zum Beispiel in diesen "Vergleich", die jeweiligen Klavierkonzerte in c. Für die ersten Sätze gilt dann folgendes: schon das Eröffnungsthema ist bei Mozart wesentlich spannender (Dreivierteltakt, Sprung in die Sexte, fis, ein weiterer Sprung in die Sexte) als Beethoven (Viervierteltakt, Tonika - Dominante und zurück). Mozart verbreitet von Anfang an quälende Spannung durch Chromatik, harmonische Zweideutigkeit und Unruhe durch den Dreivierteltakt; Beethoven zitiert ein - Pardon - banales Marschthema in Moll. Das daraus später etwas wird, liegt an Beethovens Genialität. Eines ist jedoch klar; für den Hörer ist hier Mozart komplizierter, schwieriger aufzunehmen, Beethoven hingegen populärer und einfacher. Für den reinen Liebhaber mag Beethoven eingängiger sein, der Kenner hingegen lächelt. Ähnliches gilt für frühe Beethoven Sinfonien im Vergleich zu vielen von Haydn. Das Gesagte gilt natürlich nicht für viele andere Beethoven-Werke, nur für solche, die er in Anlehnung an andere Komponisten geschrieben hat. Kurzum: Mozart und Haydn gemahnen nicht an Beethoven, sondern umgekehrt: Beethoven hat sich angelehnt (was ja auch kein Wunder ist).

Der nun kommende Einwand ist bekannt: so darf man das nicht sehen, Haydn und Mozart waren schon geniale eigenständige Komponisten, so wird konzediert; was geschieht jedoch mit den vielen anderen? Diese haben im Allgemeinen überhaupt keine Chance, entweder schreiben sie in der Nachfolge oder sind Rohmaterial, welches ein anderer, meist Beethoven erst zur Vollendung gebracht hat. An den alten Bach ist schon schwieriger heranzukommen. Trotzdem ist es versucht worden: das wohltemperierte Clavier = altes Testament, Beethoven Klaviersonaten = neues Testament, also Gesetz und Erlösung, wie liebevoll. Unauffällig verpackt wird abgewertet. Wir werden dem Altmeister ein ehrendes Andenken bewahren.

Wie und was hören wir eigentlich, und wie registrieren und verarbeiten wir das? Ist es nur die Musik oder Musik in Verbindung mit Namen, Gefühl, Verstand, Ort, Zeit, Aufführungspraxis? Wahrscheinlich ist es eine Mischung aus alledem. Hierzu ein Beispiel: einem jungen Kenner, weder Berufsmusiker noch Orgelspieler, führte ich ein Präludium und Fuge in g von J.L. Krebs aber unter dem Namen JS Bach vor. Er war begeistert, hörte sich das Stück mehrere Male an. Auf den Hinweis, dass er hereingelegt worden war, reagierte er spontan. Unter dem Namen Krebs hätte er dies Werk wahrscheinlich nie kennen gelernt. Dieses Beispiel ist nicht neu und sicherlich schon viel tausendmal praktiziert worden, leider jedoch signifikant. Die Toccata in d von JS Bach (die wahrscheinlich nicht von ihm ist) kann ich mindestens dreimal pro Woche im Radio hören, Krebs hingegen hat Seltenheitswert.

Es scheint eine unausrottbare Tendenz bei Musikkritikern zu sein, dass sich Musik mit der Zeit irgendwohin entwickelt, vollendet, verbessert. Dies hat schon JA Scheibe zu Bachs Zeiten angenommen und wird heute munter weiter gedacht. Können wir uns nicht damit abfinden, dass jede Zeit und jeder Komponist einen eigenen Stil hat, der sich mit dem Tod erledigt. Nur Schüler tradieren in Teilen das Gelernte weiter in die nächste Epoche. Wir laufen sonst Gefahr, den musikalischen Barock mit dem Tode JS Bachs abzuhaken, die Klassik mit Beethoven. Zu Kaffee und Kuchen darf es dann Telemann oder Vivaldi sein; das berühmte Streichquartett eröffnet sein Konzert mit Haydn zum einspielen, um dann zum Wesentlichen zu kommen. Die Reduktion auf wenige Namen und dann noch auf wenige Werke ist fatal, gerade in einer Zeit, in der die lebenden Komponisten es nicht schaffen, mit ihren Werken die ihrer Vorgänger von den Notenpulten oder Tonträgern zu fegen. Mozart und Haydn haben es in ihrer Zeit mit CPE Bach und den Mannheimern geschafft, und Mitte des 19. Jhdts waren Mozart und Haydn auch nur mehr oder weniger historische Größen.

Nur sehr langsam scheint sich die Musikkritik daran zu gewöhnen, dass vieles, auch bei großen Meistern, aus handwerklichem Rüstzeug oder hässlich ausgedrückt "Schablonen" besteht. Diese werden entweder tradiert oder waren zeitlich, stilistisch befristet ( z.B. das harmonische System, der Sonatensatz. Aber auch Albertibässe, Schlusskadenz, klassischer Triller). Kaum ein Komponist hat sich diesem System versagt, und wenn, um dann eigene Schablonen einzuführen.

Was zeichnet nun einen genialen Komponisten aus? Eben der grossartige Einfall, sei er melodisch, harmonisch oder formal, in einen handwerklichen Rahmen gefasst, der dann bewusst durchbrochen werden kann - eine Tatsache, die das Handwerkliche nur umso stärker hervortreten lässt (das berühmte musikalische AHA-Erlebnis). Des weiteren, dass die Mehrzahl seiner Werke erheblich über dem Durchschnitt liegen. Es heißt aber noch lange nicht, dass andere Komponisten, liebevoll Kleinmeister genannt, nicht auch geniale, großartige Werke geschrieben haben, nur eben weniger. Auch besteht das Oeuvre unserer Grossen nicht nur aus Sternstunden (Beethovens Weihe des Hauses, Mozarts Klaviervariationen, mancher Kantatensatz Bachs), und in den als "groß" anerkannten Werken gibt es wahrlich auch schwache Episoden.