Die Schüler Johann Sebastian Bachs

Das Clavierwerk Conrad Friedrich Hurlebuschs

Geboren in Braunschweig 1696, musikalischer Unterricht bei seinem Vater Heinrich Lorentz, Organist in dieser Stadt. Ab 1715 Reisen nach Hamburg und Wien und ab 1718 nach Italien. 1721 zurück nach Deutschland, wo er eine Stelle am bayrischen Hof aus Konfessionsgründen ablehnt. Ab 1721 wieder in Braunschweig, erste Opern. Feste Anstellungen, wie z.B. in Schweden, Hamburg, Hannover, Bayreuth gelangen ihm nicht, er musste sogar 1736 Hamburg auf Grund anonymer Angriffe verlassen. Erst 1743 wird er als Organist der "Oude Kerk" in Amsterdam bestellt. In dieser Stadt endete auch sein Leben am 17. 12. 1765.

Hurlebusch war hauptsächlich Klavierkomponist, er hat 4 Bände herausgegeben.

Werke

Kantaten, Oden (bei J.F. Gräfe), 150 Psalmen für die reformierte Kirche, einige Concerti und Kammermusik. Klavierwerke:

  • Opere scelte per il clavicembalo op. 1: (Amsterdam 1733 ?)
  • Composizioni musicali, 2 Teile (Hamburg ?1735)
  • 6 sonate di cembalo op. 5( Amsterdam ? 1746)
  • 6 sonate di cembalo op. 6 (Amsterdam ? 1746)

Warum sollten die Klavierwerke Hurlebuschs untersucht werden?

Hurlebusch besucht 1735 JS Bach in Leipzig. Neben einigen Anekdoten bleibt folgendes festzuhalten: Bach vertreibt die "Composizioni musicali" in Leipzig. Diese Tatsache ist ein wichtiger Hinweis, denn: hätte Bach musikalischen Ramsch vertrieben? Des Weiteren sind Untersuchungen darüber erschienen, dass Bachs Fugenthema der Es-Dur Fuge (Clavierübung Teil III) von Hurlebuschs Fuge in D (Composizioni musicali) angeregt wurde, was auch nicht von der Hand zu weisen ist.

Die anrührende Geschichte (freilich auch mit anderen Namen verknüpft anzutreffen), dass Bachs Kinder mit auf den Kopf gestellten Noten die Werke Hurlebuschs "vom Blatt" gespielt haben sollen, können wir getrost in das Reich der Phantasie ablegen. Sie dient nur dem Zweck, Bach zu erhöhen (hat er es eigentlich nötig?) und den Gegenpart, hier Hurlebusch, zu diskreditieren.

Was sagt die einschlägige Literatur?

Um es vorwegzunehmen, das Übliche. Sein Bestes habe er in den Oden und Kleinformen gegeben. Seine Klavierwerke seien voller Repetitionen und Sequenzreitereien, technisch jedoch nicht sehr anspruchsvoll. Wir vergleichen mit Bach, und der Bulle fällt nach hinten ab, so einfach ist das. Im Folgenden soll versucht werden, etwas mehr Licht in Hurlebuschs Klavierwerke zu bringen.

Composizioni musicali (1. und 2. Teil)

Das 2-teilige Werk setzt sich aus Suiten, Fugen, Toccaten und einem Menuett mit Variationen zusammen. Mit letzterem beginnt das Oeuvre denkbar ungünstig, denn alle gesammelten (Vor-) Urteile über Variationswerke treten hier auf. Aber schon das zweite Werk, eine Suite in c, lässt nach dem Üben aufhorchen. Die Ouverture ist formvollendet, aufregend und schön, die Allemande versponnen, wie es sich gehört, die Corrente dramatisch mit schneidenden Dissonanzen,

die Sarabande pathetisch, das Menuett mit alternativer Gavotte zierlich, die Giga (sogar mit einer Extracoda) wie es sich gehört. Gleiches gilt für die folgende Suite in d. Hier fällt vor allem die Giga durch einen recht intrikaten Klavierstil auf: Sie ist lang und bietet teilweise die kritisierten Wiederholungen und Sequenzen. Trotzdem ist sie äusserst aufregend, manche Takte "gemahnen" an Bach, harmonische Kühnheiten sind an der Tagesordnung. Sie lohnt schon einer genaueren Betrachtung, die sich beim Üben automatisch einstellt. Das Ergebnis dieser Betrachtung lässt sich wie folgt zusammenfassen: Für einen "Liebhaber" ist sie technisch sehr anspruchsvoll; schwierig zu spielende Passagen

wechseln ohne Übergang zu vollgriffigen Partien. Als "Ruhezonen" für den Spieler hat dann Hurlebusch die Wiederholungen und Sequenzenpassagen eingebaut, die ja bei einer schnell zu spielenden Giga gar nicht als so unangenehm auffallen, wie geschrieben vermutet. Es folgen 2 Fugen (in d und B). Vielleicht haben sich hier die Kritiker festgebissen nach dem Motto: man nehme Fugen aus dem WTC und vergleiche sie mit denen anderer Komponisten. Kenne Sie das Ergebnis? Die Fuge in d hat ein recht "bekanntes" Thema, einige haben ähnliches verwendet, und sie fällt auch nicht aus dem Rahmen des üblichen. Hingegen hinterlässt die Fuge in B bei Spielern und Hörern einen besonderen Eindruck. Nicht, dass hier mit polyphonen Spielchen aufgewartet wird, nein, eine feierliche "allabreve" strahlt Ruhe, Erhabenheit, Schönheit aus, wie selten auf dem Clavier zu hören. Sie ist sicherlich Hurlebuschs Beitrag zum um sich greifenden "stilo antico" in dieser Zeit. Die folgende Toccata in e gibt im Toccatenteil allen Kritikern recht: endlose Sequenzen und Wiederholungen (sie verführen regelrecht zum Kürzen); aber halt, da kommt doch noch der "polyphone" Teil der Toccata. Hier muss man harmonisch sehr sattelfest sein, um gefahrlos durch zu kommen, und alles erinnert etwas an die "Toccata settima" von M. Rossi, nur eben 100 Jahre später. Hiermit schliesst der 1. Teil.

Der 2. Teil wird mit einer Ouvertüre in D eröffnet (das kennen wir von Bachs Partiten). Vor der Allemande wird ein Scherzo geschaltet, zwischen Sarabande und  Giga fügt Hurlebusch eine Gavotta und eine Minuetta ein. Die folgende Suite in F wird mit einer Sonata eröffnet, die dritte in G ebenfalls. Wir dürfen uns keinesfalls diese Sonatensätze als Pendants beispielsweise der Werke CPEBs vorstellen. Sie kommen aus einer anderen Welt. Als 4. Stück folgt eine Fuge in D im Allabreve Takt. Tatsächlich, das Thema könnte die Vorform zu Bach´s grosser Es-Dur Fuge Teil III der Clavierübung sein. Aber, abgesehen davon, ist sie an sich recht beachtlich. Sie strahlt wiederum eine gewisse Feierlichkeit aus (diesmal nicht "stilo antico"), und kann dadurch Spieler und Hörer überzeugen. Eine fröhliche "Spielfuge" in G setzt die Reihe als 5. Stück fort. Abschließend bringt Hurlebusch wiederum eine Toccata. Sie steht in A. Diesmal sind Toccatenteil und Fuge durch einen Doppelstrich getrennt. Beim Spielen wird einem klar warum: die Fuge ist eine Meisterleistung, wieder nahe bei dem "stilo antico" angesiedelt und würdig, das Gesamtwerk abzuschließen.

Sonaten

Sofort entsteht der Eindruck, dass die Composizioni musicali Hurlebuschs Beitrag zur "älteren" Musik sind, während die Sonaten den "modernen" Teil repräsentieren. Wer hat schon, ausser bekannten Bach-Schülern, 1746 mehrsätzige Claviersonaten geschrieben und veröffentlicht? Nur, wer jetzt einen Beitrag zur "norddeutschen" Claviersonate erwartet, wird herb enttäuscht. Persönlich sah ich mich auch gezwungen, diese 12 Sonaten mehrmals zu spielen um mich daran zu gewöhnen, dass solcher Art musikalischer Stücke mit Sonate betitelt worden sind - so tief sitzen die "Lehren" der Vergangenheit. Bis die simple Erkenntnis reift: Hurlebusch hat die mehrsätzigen Stücke (in einheitlicher Tonart, Dur/moll -Wechsel inbegriffen) als Sonaten bezeichnet. Warum nicht? Gibt es Vorschriften?