Die Schüler Johann Sebastian Bachs

Johann Philipp Kirnberger

JP Kirnberger (1721 - 1785) zählt zu den bedeutenden Berliner Musiktheoretikern der 2. Hälfte des 18. Jhdts., zusammen mit Quantz, CPE Bach, Marpurg, Agricola, Krause. Schüler JP Kellners (siehe weiter unten) und Heinrich Nikolaus Gerbers war er an verschiedenen polnischen Adelshöfen angestellt, um dann 1751 in preußische Dienste zu treten, und wurde dann Lehrer, Mentor, "Chefmusiker" der Prinzessin Anna Amalia, Äbtissin zu Quedlinburg. Er war kein direkter Schüler JS Bachs, aber seine intensive Beschäftigung mit dem Werk Bachs macht ihn zu einem "virtuellen" Schüler. Für die nachfolgenden Generationen sind vor allem seine theoretischen Werke, die "Kunst des reinen Satzes" 1774/79 und die "Grundsätze des Generalbasses" von großer Bedeutung. Beide Werke bringen Notenbeispiele von Werken JS Bachs.

Komponiert hat er auch für das Klavier. Auf uns sind 220 Werke gekommen, die in verschiedenen Drucken der Zeit und Handschriften überliefert sind (siehe das Werkverzeichnis der Klavierwerke Kirnbergers von Dr. Ruth Engelhardt). Da ein erheblicher Prozentsatz dieser Werke aus kleineren Einzelsätzen (Menuette. Polonaisen etc) besteht, sind diese in Neudrucken nur sehr verstreut auffindbar. Kirnbergers wichtigsten Selbstveröffentlichungen liegen jedoch im Neudruck vor. Eine weitere, recht gute erreichbare neuere Quelle ist Farrencs "Tresor des Pianistes", der auch im Nachdruck vorliegt.

Kirnberger ist ein "konservativer" Komponist geblieben, der dem Zeitgeschmack relativ wenig Tribut gezollt hat. Seine Bewunderung für die Werke JS Bachs war sehr groß, und offen gab er zu, dass diese nie wieder erreicht werden können. Diese Einstellung hat ihn daran gehindert, seinen Mentor in irgendeiner Form nachzuäffen. Er hat seinen persönlichen Stil entwickelt, unter der Einschränkung, dass er kein kompositorisches Genie war. Viele seiner Klavierwerke sind Gelegenheitsarbeiten, für Schüler, technisch wenig fortgeschrittene Liebhaber. Sie können meist "vom Blatt" gespielt werden, und stellen auch sonst keine größeren Ansprüche. Einige seine Werke lohnen indes schon ein näheres Hingucken. Da wären z.B. die "Huit Fugues pour le Clavessin", Anna-Amalia gewidmet. Hier sind, neben dem Eingangspräludium zwei 2-stimmige und sechs 3-stimmige Fugen zu finden. Die Fugenthemen sind originell, harmonisch sehr vielseitig verwendbar. In der Durchführung setzt Kirnberger auf "emofindsamen" Stil, wie hier:

oder "archaisch"

Da diese Fugen technisch keine unüberwindbaren Hindernisse aufbauen, lohnt sich die Beschäftigung mit ihnen allemal. Musikalisch überragen sie viele "Durchschnittsfugen" des 18. Jhdts.

Da sich Kirnberger mit der Komposition von Klaviersonaten sehr zurückgehalten hat (es gibt vier davon, die weder Spieler noch Hörer sehr begeistern werden), ist der Neugierige leider gezwungen, sich in das "Getümmel" der Einzelsätze zu stürzen. Da wären, um beim Thema "Fugen" zu bleiben, Präludium und Fuge in D-Dur, oder die "Fuga a 3 in modo phrygio, aus den "Diverses pieces...". Es sind hochkarätige Werke. Ein besonder schönes Allegro in h-Moll befindet sich in den "Clavierübungen, IV. Sammlung" (der Fingersatz stammt von Kirnberger!):

Auch zum Thema "Klaviervariationen" hat sich Kirnberger ausgelassen (meine Liebe zu Variationen dürfte mittlerweile hier bekannt sein). Da gäbe es z.B. die Variationen über das etwas arg simple Lied "Ich schlief, da träumte mir". Kirnberger ist in diesen Variationen nichts Besonderes eingefallen, sie halten sich im Rahmen des Üblichen. Über dieses Thema hat aber auch CPE Bach Variationen geschrieben. Auch sie sind keine unsterblichen Spitzenleistungen, überragen jedoch Kirnberger gewaltig, eben der Unterschied zwischen Genie und Könner. Kirnbergers Variationen über eine Aria in A-Dur verlaufen auch im bekannten Rahmen... bis zur letzten Variation:

Na, diese etwas sperrige Technik kommt einem doch sofort bekannt vor: man besehe sich JS Bach, Goldbergvariationen Nr. 29!

Fazit: Kirnberger war ein herausragender Musiktheoretiker. Seine Kompositionen sind teilweise  beachtlich, manchmal zeitbedingter Durchschnitt, vor allem in seinen kleinen "Piecen". Ein kompositorisches Genie war er nicht. Es gibt jedoch bei ihm erfreuliches zu entdecken. Das Problem stellt sich bei der Suche nach entsprechendem Notenmaterial. Hierfür: siehe Anhang.