Die Schüler Johann Sebastian Bachs

Johann Gottlieb Goldberg

Dieser Bachschüler, dem Namen nach äusserst bekannt, mit immerhin einigem Nachruhm in der Literatur, fristet heute -, auch das ist schon leidlich bekannt - ein kümmerliches Aufführungsdasein.

Über Goldberg ist zu bemerken, dass er ein vorzüglicher Cembalospieler gewesen sein muss - "seine" Variationen sprechen darüber Bände. Die Musikliteratur des 18. Jhdts. (Burney; Reichardt) hebt ihn besonders als Virtuosen hervor. Seine Klaviertechnik sei vom Teufel inspiriert, keine Schwierigkeit zu groß, perfekter "Vomblattspieler" usw. Leider habe er seine Werke alle vernichtet, da diese angeblich zu leicht waren - nur für Frauenzimmer - und deswegen nicht überliefert werden sollten.

Viele Werke können es nicht gewesen sein, Goldberg erreichte das 30. Lebensjahr nicht (1727 - 1756), und sein Vernichtungstrieb scheint auch nicht sehr ausgeprägt gewesen zu sein, da einiges erhalten ist. Überliefert sind:

  • 2 Kirchenkantaten
  • 2 Cembalokonzerte (d; Es)
  • 1 Quatuor (c)
  • 4 (5) Triosonaten (C;a;g;B, f, vielleicht auch von Quantz)
  • für Tasteninstrument solo: Präludium + Fuge (f), Präludium (C), Sonate (D), 24 Polonaisen

An der Triosonate in C lässt sich sehr gut Goldbergs Kompositionsweise studieren. Diese Triosonate hatte den Vorteil, viele Jahrzehnte unter JS Bachs Namen zu segeln und erfreute sich hoher Aufmerksamkeit: welch formale Vollendung, welch geniale Beherrschung der Polyphonie, welch hervorragende Verbindung älterer und neuerer Stilelemente. Um die Sonate ist es erheblich ruhiger geworden, seitdem der wahre Autor bekannt wurde. Aber oben gesagtes trifft auf Goldbergs Stil gut zu. Als Schüler Bachs in den 1740er Jahren, bekommt Goldberg die neuen Errungenschaften des Bachschen Spätstils in aller Frische mit: Die Auseinandersetzung mit der Polyphonie bis zum "stilo antico" einerseits, andrerseits die Hinwendung zu mehr Empfindsamkeit und "Sturm und Drang". Hier genau bewegt sich Goldberg mit seinen Kompositionen. Er war ein gelehriger Schüler, adaptiv, mit großer Eigenbegabung. Seine beiden Kantaten, von Bach im Gottesdienst aufgeführt, sind Abbilder der späten Vokalwerke Bachs (es gibt wenig genug davon).

Ob Bach in diese Werke persönlich eingegriffen hat, bleibt Spekulation; möglich ist es immerhin. Sie liegen in Noten vor, auf Tonträgern jedoch nicht, weil sie den falschen Autor haben. Mittlerweile gibt es diese auch auf CD.

Die Cembalokonzerte haben es in sich. Technisch ausgefeilt und schwierig zu spielen, unterscheiden sie sich von den Produkten ihrer Zeitgenossen (ausgenommen WF Bach; CPE Bach und Müthel) durch vollstimmigen Satz, größere Länge und formale Geschlossenheit. Ihr Stil ist eher im "Sturm und Drang" anzusiedeln. Das Konzert in d hat sicherlich Bachs Cembalokonzert BWV 1052 zum Vorbild, wie so viele Cembalokonzerte in d der Schüler Bachs. Bachs Konzert muss "revolutionär" gewirkt haben - ist es auch - virtuoser Clavierstil mit starken "Sturm und Drang" Elementen.

Exkurs in d moll: die Tonart hat es in sich. Wollte ein Komponist im 18. Jhdt. etwas düsteres, pathetisches, kämpferisches, tragisches, gewalttätiges zu Papier bringen, so wählt er meist d - moll. Auch JS Bach hat davon ausgiebig Gebrauch gemacht. Einige Beispiele: die Gigue aus der sechsten Englischen Suite, die Spieler, Geschmack und Verstand vergewaltigt; die d - Fuge aus WTC II; die " bösartigen" Turbae aus der Johannes-Passion; die Chaconne aus der d - Partita für Violino solo; vor allem aber die Chromatische Fantasie und Fuge. Bachs Schüler dürften da sehr genau hingehört haben. CPE Bach schreibt drei wilde Cembalokonzerte in d; Goldberg und Müthel je eines; CPE Bachs Klaviersonaten in d haben es in sich, vor allem die Schlusssätze. Im übrigen scheint diese Auffassung der Tonart noch lange nachgewirkt zu haben: Mozarts Konzert KV 461; die Tischscene und Höllenfahrt aus dem Don Giovanni; Beethovens 9. Sinfonie; Brahms 1. Klavierkonzert - alles steht in d-moll und verbreiten o.a. Stimmungslage. Hat Bach Schule gemacht?

Wie sehen Goldbergs Solo-Klavierwerke aus?  Als erstes sehen wir uns Praeludium und Fuge in f an. Sofort sticht der technische Schwierigkeitsgrad ins Auge. Gebrochene Triolenakkorde im Bass und der Oberstimme, dabei mehrstimmig mit Griffproblemen und Stimmverteilung in den Händen.

Das Praeludium ist harmonisch aufreizend, dabei absolut logisch aufgebaut. Der Tonartenplan ist gut zu erkennen. Reißwerk leitet zur Fuge über. Wer jetzt ein hoch chromatisches, "Sturm - und Drang" Fugenthema erwartet wird schwer enttäuscht. Fast "norddeutsch" kommt ein periodisch regelmäßiges Fugenthema daher, mit Tonrepetitionen, aufgeteilt in 16tel und 8el. Die Fuge ist streng dreistimmig, das Thema wandert gleichberechtigt durch alle Stimmen.

Bis zum ersten Dur-Einsatz des Themas werden viele Takte verbraten. Polyphone Spielchen werden nicht betrieben. Ich habe etliche Zeit gebraucht, um dieser Fuge Vergnügen abzugewinnen, da sie nebenbei auch noch technisch anspruchsvoll ist. Nebenbei ist die Wahl des Tempos ein Hauptproblem: zu langsam ist ermüdend, durch das "allabreve" - Zeichen gibt uns Goldberg aber einen Hinweis.

Als nächstes sei ein allein stehendes Praeludium in C betrachtet. Technisch ist auch hier Üben angesagt. Die "Presto" - Vorschrift sagt alles über das Tempo aus, damit es nicht wie ein Bachsches Orgelpraeludium angegangen wird. Ansonsten rauscht es dahin, Bach sehr nahe, ein einziges Spiel- und Hörvergnügen.

Nun zur "Sonata del Sig. Goldberg". Sie ist in mehreren Abschriften überliefert, und damit fangen die Probleme an: Hat die Sonate drei oder vier Sätze? Falls vier Sätze, wie ist deren Anordnung? Die ersten beiden Sätze sind unstrittig: Allegro - Andante, mit überleitendem Dominantschluss; gefühlsmäßig kann sich hieran nur der Presto-Satz anschließen. Damit wäre eine "klassische" dreisätzige Sonate vollendet, kommt danach noch ein etwas harmloses "Minuetto con variazioni"? Oder die Variationen nach dem Andante und das Presto als Schlusssatz? Die Variationen könnten durchaus auch ein eigenes Werk darstellen. Die gemeinsame Tonart D erschwert die Zuordnung.

Wie dem auch sei, der Spieler muss sich auf einiges gefasst machen. Die Eröffnung des ersten Satzes ist so harmlos und "nichtssagend", dass man geneigt ist, die Angelegenheit unter "galantes Geschreibsel" abzulegen. Aber Vorsicht: Goldberg kommt schnell zur Sache: zuerst technisch mit gebrochenen Akkorden über mehrere Oktaven, dann thematisch und harmonisch. Die Durchführung "gemahnt sehr stark an Beethoven" (hat er die Sonate gekannt?). Hier wird die Spannung auf den Höhepunkt getrieben: Verarbeitung thematischer Partikel, harmonische Abweichungen hin bis zu einem Wutausbruch, alles wird in das Spiel gebracht, um Spieler wie Hörer zu befriedigen. Leider, ich kann es bei Goldberg nur wiederholen, muss fürchterlich geübt werden. Der zweite Satz steht in d-moll. Streng dreistimmig, verbreitet dieser Satz keine Kampfstimmung sondern eher Melancholie und Empfindsamkeit. Seine wichtigsten Funktionen sind  "Ruhe vor dem Sturm" und - durch seinen Dominantschluss - Überleitung. Ich gehe davon aus, dass nun das Presto folgt. Dieses, im 12/8 Takt, ist mit Abstand das technisch anspruchvollste Stück aller auf dieser Seite besprochenen Stücke. Es stellt Cembalo-Virtuosität "par excellence" dar. Aber nicht nur dies, auch musikalisch wird einiges geboten. Es ist eine Gigue, sie wird so ernst genommen, wie Goldberg es bei JS Bach gelernt hat, ein Gegenstück zu Bachs Gigue aus der sechsten englischen Suite.

Goldbergs Variationen in D halten nie und nimmer den Vergleich mit den gleichnamigen Variationen aus, was sie ja auch nicht sollen. Sie sind empfindsam, galant geschrieben, technisch nicht einfach zu bewältigen, ein befriedigendes Aufwand/Leistungsergebnis will sich nicht einstellen.

Von Goldberg gibt es noch eine weitere Claviersonate in F-Dur. Die Noten liegen mir vor, harren jedoch noch der Freigabe durch den Eigentümer. Hier zeigt sich Goldberg von einer anderen Seite, technisch nicht so anspruchsvoll wie die Claviersonate in D, gelassener, empfindsamer, wahrscheinlich eine Komposition für Schüler. Es ist trotzdem ein sehr hochwertiges Werk.

Völlig anders sind Goldbergs Polonaisen durch alle Tonarten, 24 an der Zahl. Technisch gesehen, stellen sie wesentlich geringere Ansprüche als seine anderen Werke. Vielleicht sind sie für Schüler geschrieben. Die Polonaisenform wird strikt eingehalten, trotzdem geht Goldberg harmonisch seine "typischen" Wege. Das Spielen lohnt sich.

Hatte Goldberg Schüler? Durch Zufall entdeckte ich im "Grove", dass Friedrich Wilhelm Rust in Detmold einen Clavierlehrer namens Gottlieb Friedrich Müller hatte. Dieser war wiederum ein Goldbergschüler. Woher der Verfasser des Rust-Artikels diese Information hat habe ich bislang noch nicht herausgefunden. Wie dem auch sei, konnten mehrere Clavierwerke jenes Müller ausgegraben werden. Ich werde ihm einen gesonderten Artikel widmen.