Die Schüler Johann Sebastian Bachs

Johann Christian Kittel

"Hommage" an JC Kittel, oder ein geklautes Thema? Wer kennt es nicht, "Ein Mädchen oder Weibchen wünscht Papageno sich", neben "ta, tata, tatatatatati" der Mozart-Schlager schlechthin. Wirklich Mozart?

Vor kurzem hat der Cornetto Verlag die "Sechs Klavier-Sonaten von verschiedener Art nebst einer Fantasie" von JC Kittel herausgebracht, eine verdienstvolle Tat. Der Originaldruck von 1789 (Gera, im Verlag der Beckmannischen Buchhandlung) liegt wohl als einzig verbliebenes Exemplar in der British Library in London vor.

Es ist schon interessant, Musikwerke eines Komponisten zu spielen und hören, der ein direkter Schüler JS Bachs und gleichzeitig ein Verehrer der Musik Mozarts und Haydns war. Vor allem, hier handelt es sich nicht um Werke für die Orgel, Kittels eigentliche Domäne, sondern um Klavierwerke, Mozarts "eigentliche" Domäne.

Kittels Lebenslauf ist schnell beschrieben: 1732 in Erfurt geboren, dort Schüler Adlungs, ab 1748 in Leipzig Schüler Bachs (der ihn wohl hoch schätzte), ab 1751 Organist in Schmalkalden, ab 1756 Organist in Erfurt (erst Barfüßerkirche, danach Predigerkirche), außer seltenen Konzertreisen (Hamburg, Altes Land) und einer geringen Bezahlung, ist nichts Außergewöhnliches aus seinem Leben zu berichten. Als Orgelspieler und Komponist hatte er schon zu Lebzeiten einen legendären Ruf.

Kittels große Bedeutung ist, die Orgeltradition Bachs mittels seiner Werke, seiner Orgelschule und seiner Schüler bis in die Neuzeit überliefert zu haben. Er war ein Kenner (im Sinne CPE Bachs), sicherlich kein Genie, der jedoch dank seiner Ausbildung und seines wachen Verstandes (nachzulesen in seiner Vorrede und seinen Erklärungen zur Orgelschule) in der Lage war, musikalische Strömungen und Gedanken richtig zu erfassen und zu beurteilen.

Nun zu seinen Klaviersonaten, nebst einer Fantasie. Eingeleitet werden die sechs Sonaten durch eine Fantasie in F. Diese Fantasie, schon von Schleuning  ausführlich behandelt und im  "Musikwerk, Fantasie, Band II"  veröffentlicht, zählt zu den Glanzpunkten der norddeutschen Fantasie des 18. Jhdts. Die darauf folgenden Sonaten stehen in den Tonarten F; c/C; A; Es; G; D. Der unvorbereitete Spieler erwartet nun Sonaten etwa im Stil CPE Bachs, Türks, Hertels oder anderer Norddeutscher, vor allem nach der einleitenden Fantasie. Doch weit gefehlt. Weder Empfindsamkeit (selten) oder die rasanten harmonischen oder dynamischen Brüche des Sturm und Drangs treten auf. Die Sonaten entwickeln sich wohlgeordnet: 1. Thema, 2. Thema, Durchführung, Reprise. Trotzdem entsteht nicht der Eindruck, eine süddeutsche Sonate vor sich zu haben. Kittel vermeidet den permanenten Missbrauch der Alberti-Bässe, lässt bei aller Durchsichtigkeit des Satzes polyphone Wendungen einfließen, die langsamen Sätze sind doch eher "norddeutsch" konzipiert. Auffallend ist der Gebrauch einiger typischer "Mozart - Clavierfloskeln" sowie der Versuch Kittels, Haydns Witz und "esprit", vor allem in den Schlusssätzen zu treffen. Diese Tatsachen belegen eindeutig, dass Kittel versucht hat, von beiden Komponisten zu lernen, und die aus seiner Sicht positiven Entwicklungen in seinen Stil zu integrieren.

Technisch gesehen, stellen die Sonaten nicht allzu hohe Ansprüche, sie sind für "Liebhaber" beherrschbar. So arbeitet man sich bis zum Schlusssatz der letzten Sonate in D durch, einem Rondo, und - bricht in schallendes Gelächter aus: "Ein Mädchen oder Weibchen wünscht Papageno sich", tönt einem entgegen, relativ unverändert.

Nun, das etwas simple Thema hätte durchaus jeder komponieren können, dazu bedarf es keines Genies. Auffallend jedoch ist, dass Mozart im Erscheinungsjahr dieser Sonaten 1789/90 sich im norddeutschen Raum bewegte. Mit Johann Wilhelm Häßler, einem Neffen und Schüler Kittels, lieferte er sich in Dresden einen Klavierwettstreit, aus dem er (nach nur eigener Aussage) als Sieger hervorgegangen sein soll. Er hat diesen Wettstreit recht unfreundlich kommentiert:  "übrigens hat er (Häßler) nur Harmonie und Modulation vom alten Seb. Bach auswendig gelernt". Diese Bemerkung lässt jedoch auch andere Rückschlüsse zu, die nicht unbedingt einer "Siegermentalität" entsprechen müssen.

Wie dem auch sei, es ist durchaus wahrscheinlich, dass Mozart die Sonaten Kittels vor Beginn der Arbeit an der Zauberflöte kennen gelernt hat. Wollte er Kittel, dem Bachschüler, augenzwinkernd "zuprosten", oder hat er das Thema schlichtweg geklaut?

Spass beiseite, kommen wir zu den sechs Sonaten, eingeleitet durch eine Fantasie in F. Diese ist "norddeutschen" Typs, doch nicht ganz so wie bei CPE Bach (es fehlen die taktfreien Passagen). Sie bietet trotzdem alles, was eine solche Fantasie bringen sollte: schroffe harmonische und dynamische Wechsel, drohende und einschmeichelnde Episoden, und vor allem einen Schluss, der hier gezeigt werden soll. Kittel bereitet durch fallende Chromatik und Fortissimo-Schlägen den resignativen Schluss vor, aber denkste! Er endet in Dur, einstimmig, auf und davon. Diese Art von Schluss ist einmalig geblieben. eben eine freie Fantasie.

Die nachfolgende Sonate in F ist schon recht "wienerisch" angehaucht. Ein Ausschnitt soll dies zeigen:

Die vierte Sonate in Es wird mit einem pompösen, "nachbarockem Grave" eingeleitet, gefolgt von einem "Allegro", und mündet in einem Rondo-Allegretto. Das Thema dieses Satzes ist "Haydnsch":

Zurück zum Anfang, zu unseren "mozartschen" Mädchen oder Weibchen. Bei Kittel wird daraus ein Presto-Rondo. Irgendwie muss das Thema ihm doch zu simpel vorgekommen sein, die Rondoeinschübe stehen im finsteren d-moll. Recht hatte er.

Die übrigen Klavierwerke Kittels sind nurmehr schwer erhältlich (bislang). Es sind Variationen über das "Teutsche Geistliche Volks-Lied: Nicht so traurig, nicht so sehr" und sechs Fugen. Die Variationen sind, wie so Variationen sind, sie reissen einen nicht vom Hocker, hingegen zeigt Kittel sich in Fugen als geistreicher Schüler Bachs.