Die Schüler Johann Sebastian Bachs

Die Familie Zinck

Kennen Sie den Komponisten/Musikernamen Zinck? Haben Sie schon einmal Werke von diesen gehört? Nein?

Dann geht es Ihnen nicht besser als mir. Auch für mich war dieser Name völlig unbekannt, bis per Zufall ich schlauer gemacht wurde. Miklos Spanyi gab mir eine CD, auf die er digitalisierte und der Öffentlichkeit zugängliche Noten aus der königlichen Bibliothek Kopenhagen gebrannt hatte:

  • Fantasien, Sonaten, Solfeggien, Praeludien und Cadenzen fürs Clavier, Heft 11, handgeschrieben von BF Zinck, Januar 1781,
  • 6 Claviersonaten von HOK Zinck, gedruckt zu Hamburg 1783.

Miklos hatte keine Zeit gehabt diese Konvoluten durchzusehen, also setzte ich mich daran, 158 Seiten handgeschrieben durchzusehen. Alsbald kamen dann die Überraschungen: enthalten waren darin 4 Werke mit dem Komponistennamen "JS Bach" versehen, darunter die Gigue aus der Partita in B-Dur (hier als "Allegro") und 3 völlig unbekannte Werke, auch nicht unter den "Incerta" für Clavier aufgeführt: Menuett F-Dur, Menuett f-moll, Polonoise F-Dur.

Selbiges gilt für CPE Bach: neben vielen, völlig korrekt bezeichneten Clavierkompositionen dieses Meisters befinden sich auch 4 völlig unbekannte Werke unter dem Namen CPE Bach: 3 Praeludien (in C-, A-, C-Dur) und 1 Menuett in C-Dur. Über die Echtheit dieser Werke werden sich sicherlich kompetente Wissenschaftler auslassen.

Für den Laien stellen sich jedoch Fragen: wer waren diese Zincks? Wo sind die einzuordnen? Bei wem haben die gelernt, vor allem nach Durchsicht und Spielen jener 6 gedruckten Sonaten, die allesamt vorzüglicher Qualität sind? Und damit ist das Verwirrspiel eröffnet, denn es gab 2 Zincks mit identischen Vornamen: "Bendix Friedrich", nämlich Vater und Sohn. Schon RISM subsummiert unter "BF Zinck" Sinfonien und Violinsonaten des BF Zinck junior mit einem Orgelwerk aus dem Husumer Orgelbuch, Schreiber Bendix Friedrich senior (Präludium, Fuge, Chaconne in D), welches dort die Komponistenbezeichnung "Hinr. Zinck" enthält, einem Onkel des Bendix Friedrich senior. MGG weiß zu berichten, dass Bendix Friedrich junior "Kompositionsschüler" bei CPE Bach in Hamburg war...als fest angestellter Kammermusikus (Violinist) am Schweriner Hof (er hat mehrere Reisen nach Hamburg unternommen)!

1.) Von Bendix Friedrich senior (1715? - 1798) sind in Kopenhagen mehrere dickleibige Konvolute erhalten: das Husumer Orgelbuch, 2 Bände "Orgelsachen" (sie tragen die Nummern 6 und 7) und ein Band mit Clavierwerken (es trägt die Nummer 11). An der Autorschaft Bendix Friedrichs senior bestehen keine Zweifel: der Vergleich der Unterschriften im Husumer Orgelbuch und Band 11 zeigt dies sehr deutlich. In den Bänden 6, 7, 11 befinden sich Werke von Bendix Friedrich Zinck. Sie sind, auch stilistisch gesehen eindeutig dem Senior zuzuordnen. Ihre Anzahl ist überschaubar: acht kurze Einzelsätze für Clavier, die sich in Band 11 befinden. Offensichtlich sind sie für Schüler geschrieben, die damit an eine kantable Spielart herangeführt werden sollen. Alle sind mit ausgiebigen Fingersätzen versehen.

2.) Bendix Friedrich junior (1743 - 1801) hat höchst wahrscheinlich keine Clavierwerke komponiert. Er hatte als Hofviolinist auch keine Veranlassung dazu.

3.) Von Hardenack (Harnack) Otto Conrad (1746 - 1832) sind hingegen etliche, auch größere Clavierwerke bekannt:

  • sechs Sonaten (Hamburg 1783)
  • Variationen über einen "Rundgesang der Kinder" (Berlin 1785)
  • vier Sonaten (Kopenhagen ab 1791 in "Compositioner for Sangen og Claveret)
  • zwei Sonaten (handschriftlich in o.a. Band 11)
  • Einzelstücke (Etüden, Solfeggien) (handschriftlich in o.a. Band 11)

Die 1783 in Hamburg gedruckten Sonaten beinhalten einen aufschlussreichen Vorbericht, aus dem ich zwei Zitate anführe:

"Ein Dritter (Zeitgenosse/Lehrer) riß heute das Lehrgebäude, welches er gestern bis zum zweiten Stockwerk aufgeführt hatte, wieder ein; und so blieb ich immer da stehen, wo ich war, bis ich mir endlich bey meiner jetzt ruhigen Lebensart, wiewol mit unsäglicher Mühe, bey den Stummen* Raths erholte. (* Des Herrn C.P.E. Bachs Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen, und Kirnbergers Kunst des reinen Satzes, so wie Marpurgs theoretische Schriften, dienten mir zur Befestigung in den Kunstregeln; und die praktischen Werke der besten klaßischen Meister, als Muster der Nachahmung)."

"Mit dankerfülltem Herzen nenne ich hier unter den Vielen. nur den mir vorzüglich werthen Namen des Menschenfreundes, der mich seiner besondere Zuneigung würdigte. des großen Meisters unsrer Kunst, des Herrn Capellmeisters C.P.E. Bach".

Hieraus eine direkte Schülerschaft HOC Zincks bei CPEB abzuleiten halte ich für recht gewagt. Wer kennt schon stumme Clavier/Kompositionslehrer persönlich?

Von den 12 überlieferten Claviersonaten Zincks wurden zehn von ihm veröffentlicht. Seine wohl ersten beiden Sonaten (C-Dur, D-Dur) sind in o.a. Band 11 zu finden. Nach Durchsicht dieser beiden Sonaten kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Zinck sehr bewusst von einer Veröffentlichung Abstand genommen hat. Sie sind an Harmlosigkeit und gehäuften "Albertibässen" kaum zu überbieten, also gute Gründe, sie in Norddeutschland nicht bekannt zu machen.

Ein anderer Zinck tritt uns in seinen 1783 in Hamburg gedruckten Sonaten entgegen. Sie stehen in C-Dur, F-Dur, A-Dur, c-moll, G-Dur, d-moll. Sofort fällt einem auf, dass Zinck von seinen "stummen" Lehrern viel gelernt hat: norddeutsche Themenbildung, scharfe harmonische Reibungen, plötzlich und schnell wechselnde harmonische Kontraste, also Musik für höchste Ansprüche, all das eingebettet in einen klaren, durchsichtigen Claviersatz. Trotz alledem sind diese Sonaten keine "Abklatsche" bekannter Vorbilder, sondern "moderner". Hier einige herausragende Besonderheiten: der erste Satz der 3. Sonate (A-Dur) endet "klassisch" in der Tonika, doch Zinck führt danach einen kadenzartigen Übergang (in a-moll) zu dem zweiten Satz ein, der auch in a-moll steht. Hier wird drei Takte vor Schluss dieser Kadenz das Rondothema aus "Kenner und Liebhaber II" in C-Dur zitiert.

Die Kadenz endet mit einer Generalpause. Wer jetzt annimmt, dass der langsame Satz in a-moll beginnt, irrt sich gewaltig: im Forte erklingt unüberhörbar im Bass "B-A-C-H". Einige Takte weiter zitiert Zinck wiederum das leicht abgeänderte Rondothema aus "Kenner und Liebhaber II", womit er diesen Satz auch beschliesst. Eine angemessene Verbeugung.

Die 4. Sonate endet mit einem "Minuetto con espressione e allegro". Hier ist es:

Fühlt sich jemand an einen anderen Großmeister erinnert? Hat Beethoven Zincks Sonaten gekannt?

Der letzte Satz der d-moll Sonate ist ein auskomponierter Wutanfall, "presto e furioso". Er schliesst im "fortissimo". Jedoch bietet Zinck ein Alternative: der Satz kann auch als Präludium zu einer Gesangsode "Kain am Unfer des Meeres" (Gedicht des Grafen Stolberg) verwendet werden. Die Musik ist dem Text sehr angemessen.

Zu dieser Veröffentlichung bietet das "Magazin der Musik" (CMM) aus Hamburg 1783 eine wichtige Rezension. Daraus einige Ausschnitte: "Man sieht es ihnen freylich wohl an, weß Geistes Kinder sie sind. Wer in Bachs Werken nicht fremd ist, wird allerdings an verschiedenen Orten tiefes Studium dieses Meisters erblicken." "Auch das verdient noch zum Lobe dieser Sonaten hinzu gefügt werden, daß sie insgesammt eben so claviermäßig gesezt sind, als schöne Melodie sie enthalten, ein Vorzug, den man nicht von allen Werken dieser Art, die sonst aus andern Rücksichten Beyfall verdienen, rühmen kann."

Wie wahr!

Ab 1791 (bis 1793) veröffentlichte Zinck vier weitere Claviersonaten (in Es-Dur, g-moll, G-Dur, C-Dur) in Sammelbänden (Compositioner for Sangen og Claveret) mit Stücken aus seinem Singspiel "Selim og Mirza". Es ist schon interessant zu beobachten, wie auch bei Zinck sich der Einfluß der Wiener Sonatenkomponisten bemerkbar macht, wovon in den Sonaten 1783 noch nichts zu bemerken ist. Die Sonaten werden harmonisch etwas ruhiger, schroffe dynamische Brüche seltener, obwohl sie in ihrer Substanz norddeutsche Produkte bleiben. Eine Ausnahme bildet die Sonate in g-moll. Diese ist von dem ersten bis zum letzten Satz (wiederum ein auskomponierter Wutanfall) norddeutsch konzipiert, selbst der langsame Satz steht in g-moll und ist ein "klassischer" Mustersatz dieses Genres. Im Gegensatz dazu steht die vierte Sonate in C-Dur: der erste Satz ist schon "wienerisch" gedacht, "Allegro con brio", Allabreve-Takt, viel Laufwerk, harmonisch stabil. Vor allem tritt ein echtes zweites Thema in der Dominante auf, welches auch in der Durchführung nicht zu kurz kommt.

Danach erlaubt sich Zinck einige Sonderheiten: der zweite Satz, Andante grazioso, in der Subdominanten stehend, entwickelt sich zu einem Variationssatz "Typ Haydn", geht jedoch "poco a poco presto" in den dritten Satz über, der in einem schnellen 3/8-Takt steht. Der Satz wird mit einer veritablen Coda beendet.