Wilhelm Friedemann Bach
JS Bachs ältester Sohn Wilhelm Friedemann (1710 - 1784) war schon zu seinen Lebzeiten ein berühmter aber auch umstrittener Mann. Sein Vater setzte große Stücke auf ihn, ließ ihm die beste Ausbildung zuteil werden, Organist in Dresden, Halle, um danach in einem unsteten Leben über Braunschweig in Berlin zu landen. Weder diese Tatsache, noch schmierig/ kitschige Bücher über ihn dürfen den Blick auf seine Klavierwerke trüben. Er muss ein großartiger, genialer Klavier/ Orgelspieler zu seiner Zeit gewesen sein. Wo er auch war, öffneten sich die Türen, er musste vortragen, sei es auf der Orgel oder dem Klavier. Dementsprechend groß ist sein hinterlassenes Klavierwerk.
Seine Klavierwerke:
- 12 Sonaten
- 1 Sonate für 2 Klaviere
- 13 Polonaisen
- 10 Fantasien
- 1 Suite und weitere kleine Klavierstücke
- 10 Fugen
- 1 Konzert für Cembalo solo
Um es vorweg zu sagen: dem Spieler wird technisch einiges abverlangt, wenn er sich den Werken Friedemann Bachs nähert. Weder mit der "Technik" des Vaters noch mit der Philipp Emanuels ist ihm so richtig bei zu kommen. Erschwerend kommt hinzu, dass er auch häufig hohe Ansprüche an den Verstand stellt. Im Gegensatz zu seinem Bruder Carl Philipp hat er über seine Werke nicht Buch geführt, sie sind nur mit Mühe zu datieren. Viele Werke dürften auch verloren sein. Trotzdem wird versucht, chronologisch an sein Clavierschaffen heranzugehen.
Zu Beginn steht die Suite in g, Fk 24, wohl vor 1740 in Dresden entstanden. Technisch gesehen steht sie auf dem Niveau der Partiten JS Bachs (Allemande, Presto), ohne jedoch deren Substanz zu erreichen. Dieses Phänomen begegnet einem noch öfters bei den Clavierwerken WF Bachs. Etwas völlig anderes bietet uns WF Bach in seiner frühen Sonate in F, Fk unsicher, wohl um 1735 komponiert, da das "Concerto nach italienischen Gusto" des Vaters zu Anfang durchschimmert.
Die Sonate ist recht schwierig zu spielen, lebhaft und schön, sie lohnt sich allemal. Beim Üben des letzten Satzes kommen "unheilige" Gedanken auf, womit wohl Vater Bach seine Clavierschüler maltraitiert haben könnte, angesichts der gebrochenen Akkorde über mehrere Oktaven.
Seltsamerweise tauchen diese Figuren auch gerne bei CPE Bach und Goldberg auf, für die Zeit etwas unüblich (außer bei Scarlatti). Der alte Bach verwendet sie hingegen in seiner Fantasie in c, BWV 906, ein Stück, welches stark in Richtung "neuer Geschmack" tendiert. Er war wohl doch "moderner" als viele annehmen.
Im Gegensatz zu der Suite gehören die beiden Sonaten in D, Fk 3, und Es, Fk 5, beide zwischen 1745 und 1748 entstanden, zu seinen "Spitzenprodukten". Nicht, dass technisch dem Spieler etwas geschenkt würde, nur, der Aufwand lohnt sich ungemein. Vor allem sind die langsamen Sätze, beide "strenge" Trios, von unbeschreiblicher Schönheit. Hier kommen sich Wilhelm Friedemann und Carl Philipp sehr nahe. In diese Zeit fällt auch die Sonate für 2 Cembali in F, Fk 10. Neuerdings wieder beachtet - es gibt mehrere CD -Aufnahmen von ihr -, bietet sie dem Hörer mehr als den Spielern: es muss ein enormer technischer Aufwand, vor allem im Zusammenspiel, betrieben werden. Rundum befriedigend ist jedoch nur der letzte Satz, ein Presto, recht konzertant. Die beiden anderen Sätze leiden etwas unter F. Bachs "schematischer" Themenbildung.
Nicht alle folgenden, späteren Sonaten stehen auf dem hohen Niveau derer um 1745 -48. Während Fk 7 in G und Fk 9 in B musikalisch nichts offen lassen (besonders beachtlich ist das "Lamento" aus Fk 7),
enttäuschen Fk 1, 2, 6, 8. Irgendwie stimmt die Aufwands/Ertragsrechnung nicht. Eine bisher unveröffentlichte Sonate in Es, Fk unsicher, ist hingegen sehr schön und einigermaßen einfach zu spielen.
Aus klanglichen Gründen sollte vom Gebrauch eines Cembalos abgesehen werden. Das Konzert für Cembalo solo in G, Fk 40 grenzt wiederum an ein Ärgernis.
Von völlig anderer Qualität sind W. Bachs Polonaisen, 12 an der Zahl. Schon zu seinen Lebzeiten berühmt - es kursierten mehrere Abschriften -, sollten sie gedruckt werden; es ist aus unerklärlichen Gründen nie dazu gekommen. Erst 1820 gab Griepenkerl diese Polonaisen in den Druck. Wie dem auch sei, in diesen Werken liegen uns Geniestreiche ersten Ranges vor. Das Schreiben von Polonaisen, eine Art "Modekrankheit" der Zeit, gehörte zu den Pflichtübungen damaliger Komponisten, kaum einer hat sich dieser Aufgabe entzogen. Bis auf seltene Ausnahmen, z.B. die von Goldberg, liegen diese Produkte genau da, wo sie hingehören: in verstaubten Archiven. Sie sind eine Zumutung für Spieler und Hörer.
Mit seinen Polonaisen eröffnet uns WF Bach eine eigene Welt: die Welt der Empfindsamkeit,
Freude,
Trauer,
Dramatik, Resignation, eingebettet in einen teilweise virtuosen Klaviersatz, der ausschließlich im Dienst der Ausdrucksfähigkeit steht. Schon wegen dieser Werke gebührt WF Bach ein Ehrenplatz im Pantheon der Musik.
Ebenfalls berühmt wurden seine 8 Fugen für Clavier, der Prinzessin Amalia 1778 gewidmet. Er kannte sicherlich ihre Vorlieben für "gearbeitete" Stücke. Friedemann Bach versucht hier den Beweis anzutreten, dass Fugen über empfindsame Themen möglich sind, und es gelingt ihm hervorragend. Sie sind nicht allzu schwer zu spielen und bieten im Vergleich mit der "Durchschnittsfuge" des 18. Jahrhunderts fast nur Erfreuliches. Hingegen kann die letzte Fuge in f getrost beiseite geschoben werden, auch sie ist leider ein Ärgernis. Die "Vorlage" dieser Fuge, die Sinfonie in f, BWV 795 von JS Bach, ist ihr turmhoch überlegen.
Ein Sohn und Schüler JS Bachs, der nicht Clavierfantasien schreibt, gibt es das? Ja, aber nicht WF Bach. Immerhin sind 9 Fantasien von ihm überliefert. Sie sind alle spät, in der "nach Halle Zeit", niedergeschrieben worden. Wie nicht anders zu erwarten, ist die "Chromatische Fantasie" des Vaters die geistige Vorlage dieser Werke. Unter diesen Fantasien befinden sich Werke der Spitzenklasse. Es ist schon interessant, wie unterschiedlich die beiden Bachsöhne, Wilhelm Friedemann und Carl Philipp Vaters "Chromatische Fantasie" rezipiert haben. Legt Carl Philipp großen Wert auf die taktfreien Episoden und deren Möglichkeiten, sich harmonisch "unverhofft" weit zu entfernen, liebt Wilhelm Friedemann das intrikate Passagenwerk. Harmonisch wird einem aber auch hier nichts geschenkt. Auch sind Friedemanns Fantasien polyphoner, die Fantasie in d, Fk 19 beinhaltet eine regelrechte Fuge, die zweimal gebracht wird. Diese, wie die Fantasien in a, Fk 23 (die wohl "freieste" Fantasie Friedemanns), D, Fk 17 und in c, Fk 16 zählen sicherlich zu seinen Meisterleistungen. Seine letzte hinterlassenen Fantasie, auch in c-moll, Fk 15, sicherlich für ein Clavichord geschrieben, ist die umfangreichste. Im Auftrag eines livländischen Adligen komponiert, wollte Friedemann, der in schweren Geldnöten steckte, noch einmal seine außergewöhnliche Improvisations/Kompositionsbegabung vorführen. Es ist des Guten zuviel. Nicht nur, dass er Anleihen bei sich selbst getätigt hat, Schwamm darüber; aber das Allegro di molto aus der Sonate in C, Fk 2 (dort Presto) ist in der Fantasie inhaltlich und stilistisch eine Zumutung.
Zusammenfassend ist zu sagen: wer sich den Clavierwerken WF Bachs spielend oder hörend nähern will, muss sich mit Fleiß und Geduld wappnen. Er wird meist reich belohnt. Manchmal jedoch wird er die Noten oder CD still beiseite legen, und über das Verhältnis von Aufwand zu Ertrag nachgrübeln.