Die Schüler Johann Sebastian Bachs

Carl Philipp Emanuel Bach

Nach lang anhaltendem Dämmerschlaf besinnt sich seit einiger Zeit die musikalische Welt der Werke des "Berliner oder Hamburger" Bachs (1714 - 1788). Nicht zu spät und nie zu Unrecht: Er war genial. Mehrere Gründe führten zu jener Missachtung. Die "Überhöhung" der Werke JS Bachs einerseits, der Wiener Klassiker andrerseits waren der Hauptgrund. Denn, die Werke CPE Bachs  fügen sich partout nicht in diese vorgegebenen Schemata ein. Weder gibt es stilistische Annäherungen an die Werke des Vaters (von sehr frühen Werken abgesehen), noch "gemahnen" sie an die "Wiener Klassik".  Diese Tatsache bereitet großen Teilen der Musikwissenschaft Schwierigkeiten. In welche "Periode" ist denn Philipp Emanuel einzuordnen? "Nach-Barock"? "Frühklassik"? "Empfindsamkeit, Sturm und Drang"? Als ob eine Klassifizierung von Bedeutung wäre. Die Weisheit Wilhelm Buschs gilt auch hier: "und darauf schloss er messerscharf, dass nicht sein kann, was nicht sein darf". Ein nicht einzuordnender Komponist hat es eben schwerer, Punktum.  Auch fehlten ihm die so beliebten Attribute wie "5. Evangelist" oder "göttliches Wunderkind".

CPE Bach war ein exemplarischer Klavierkomponist: über 50% seiner Werke beschäftigen das Tasteninstrument, sei es als "Solo", "obligato" oder im Konzert. Seine Klavierschule: "Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen" unterstreicht dies noch. Außerdem war CPE Bach ein ordentlicher Mensch. Fast alle seine Werke sind mit Kompositionsdatum -und Ort versehen, sogar Änderungen wurden akkurat mitgeteilt. Es bietet sich an, dieser Ordnung zu folgen.

Die Klavierwerke bis zu den "preussischen/württembergischen Sonaten"

CPE Bachs erste Klavierwerke tauchen im Umkreis des "Klavierbüchleins für Anna Magdalena Bach" (1725) auf: Märsche, Polonäsen, eine Sonate in G. Sein erstes "wirkliches" Werk schreibt er 1731 (und ändert es 1744): die Sonate in B, H2. Es steht da wie eine Willenserklärung: keine Suite, weder eine Toccata noch ein Präludium und Fuge, nein, eine Klaviersonate. Es ist, als ob er schon in jungen Jahren zu neuen Ufern aufbrechen wollte, denn diese Form der Klaviermusik gab es eigentlich noch nicht. Inhaltlich gesehen ist diese Sonate eine Mischung von alt und neu: durchsichtiger Klaviersatz (meist 2-stimmig), Polyphonie (die Invention in F von JS Bach lässt herzlich grüßen),

aber auch empfindsame Momente treten auf. In diesem Sinne schreibt er weitere 21 Sonaten (darunter eine Suite). Besonders heraus zu heben sind hierunter die Sonaten in d, H.5 (eine Verbeugung vor dem Vater) und in g, H.21, ein exemplarisches "Sturm und Drang" - Werk.

Um 1740 entschließt er sich, eine Sammlung von 6 Sonaten zu veröffentlichen, und widmet sie seinem Dienstherrn, Friedrich II von Preußen, daher die "preussischen Sonaten".

Die preussischen/württembergischen Sonaten

Die 6 preussischen Sonaten waren das erste Druckwerk, erschienen bei Balthasar Schmid/Nürnberg 1742 oder 1743, wenn wir von dem "Jugenddruck" H 1.5 von CPE Bach absehen. Bei diesem Verleger sind übrigens auch die "Goldbergvariationen" von JS Bach 1741 erschienen. Die Sonaten wurden in den Jahren 1740 - 1742 komponiert. Welche Gründe könnte CPE Bach gehabt haben, diese Sonaten zu veröffentlichen und nicht die schon früher geschriebenen, wenn vielleicht auch überarbeitet? Ein Blick in den Notentext gibt Auskunft. Es sind "klassische" Sonaten, nach Schwierigkeit progressiv geordnet, ohne riskante Versuche und wenn, dann gezielt, wie das Rezitativ im langsamen Satz der ersten Sonate. Kurzum, repräsentative Musik im Geschmack der Zeit, für Liebhaber beherrschbar, die den Ruhm des jungen Hofcembalisten zu etablieren helfen sollte. Dies alles unter den Augen des sicherlich kritischen Vaters, der die Sonaten in Leipzig vertrieb.

Der technische Aufwand hält sich in Grenzen. Die Sonate in A (die letzte der Sammlung) verlangt jedoch einiges üben. Sie ist der Höhepunkt der Sammlung: dem "modernen" 1. Satz folgt ein pathetisches Adagio in fis. Den Abschluss bildet ein Allegro, welches schon "intrikat" geschrieben und darüber hinaus ein polyphoner Husarenritt ist.

Aber auch die Sonaten 3 (in E) und 4 (in c) lohnen das Üben und ungeteilte Aufmerksamkeit.

Ob diese Aktion ein geschäftlicher Erfolg war, wissen wir nicht. Es ist jedoch anzunehmen, denn 1744 wurde ein weiterer Druck, diesmal bei Haffner/Nürnberg, in Auftrag gegeben. Er widmet ihn dem Kronprinzen von Württemberg, der in Berlin sein Schüler war.

Die 6 württembergischen Sonaten wurden in den Jahren 1742 - 1744 komponiert. Schon der Blick in den Notentext zeigt uns sehr schnell, dass hier ein wesentlich anderes Material vorliegt. Die Sonaten sind geistig und technisch wesentlich anspruchsvoller, aufgeladen mit "Sturm und Drang"- Attitüde einerseits und polyphonen Passagen andrerseits. Die frühklassische, norddeutsche Claviersonate liegt hier in Vollendung vor.

Die erste Sonate der Sammlung (in a) setzt gleich Maßstäbe, sie ist technisch gesehen heikel und stellt darüber hinaus erhebliche geistige Ansprüche. Der erste Satz hat übrigens als "Muster" für etliche Sonaten der Berliner Schule gedient. Sein Pathos und die polyphone Verarbeitung gaben auch allen Anlass dazu. Es folgt ein Andante in A als empfindsames Trio. Der letzte Satz hingegen, ein Allegro assai, ist ein auskomponierter Wutanfall, dem nur mit fleißigen Üben bei zu kommen ist. Es lohnt sich. Aber auch die weiteren Sonaten stehen auf hohem Niveau. Ganz von Ferne schimmern noch "Vorlagen" des Vaters durch: sei es die Gigue aus der 5. Englischen Suite im 3. Satz der 3. Sonate (in e) oder die Fuge in Es aus dem WTCII im Eröffnungssatz der 5. Sonate (in Es). Wer Lust hat, kann darüber nachsinnen, welch unterschiedliche Ergebnisse bei gleichem "Ausgangsmaterial" heraus kommen können. Die 6. Sonate der Sammlung hat Bach sicherlich in der finsteren Absicht geschrieben, Spielergenerationen auf eine harte Probe zu stellen. Angefangen bei der Wahl des Instruments, Häufungen interpretatorischer Probleme im 1. und 2. Satz, die durch nachträglich von ihm eingeführte Veränderungen nicht besser zu lösen sind. Wenigstens verabschiedet er sich im 3. Satz mit einer 2-stimmigen Invention - die Spieler danken es ihm.

Es ist jedoch zu vermuten, dass dieser Druck kein so großer Geschäftserfolg wurde, etwas, was bei CPE Bach immer eine Rolle spielte, und ihn vielleicht zu einer "Veröffentlichungspause" veranlasste.

Die Klavierwerke nach den preussisch/württembergischen Sonaten

Bei der Betrachtung des Clavierschaffens CPE Bachs fallen alsbald  Zeitlücken in den zum Druck gegeben Veröffentlichungen von Claviersonaten auf:

  • 1742/43: Die preussischen Sonaten
  • 1744: Die württembergischen Sonaten
  • 1753: Die Probesonaten aus dem "Versuch"
  • 1760 - 1763: Amaliensonaten, Fortsetzung und Zweyte Fortsetzung
  • 1766: 6 leichte Sonaten
  • 1770: 6 Damensonaten
  • 1779 - 1787: 6 Sammlungen für Kenner und Liebhaber

Es klaffen mehrere "Veröffentlichungslücken" im Sonatenschaffen und dessen Veröffentlichungen auf, die sich jedoch keineswegs dadurch auszeichnen, dass in dieser Zeit keine Klaviersonaten komponiert worden wären.  Ganz im Gegenteil, 1744 war ein äusserst fruchtbares "Klavierjahr" mit einem Ergebnis von sechs Sonaten, 1745 folgte nur eine Sonate, 1746 hingegen vier, 1747 wieder vier, 1748 waren es drei, 1749 folgten vier, 1750 wurden drei komponiert, danach kommen noch drei Sonaten bis zum "Versuch". Alle diese Sonaten zeichnet aus, dass sie, wie oben erwähnt, nicht zeitnah veröffentlicht wurden. Einige tauchen Jahre später in Druckwerken wie "Zweite Fortsetzung", "oeuvres melees", "Allerley", "collections recreatives" auf. Bei böswilliger Betrachtungsweise könnte der Verdacht aufkommen, diese Sonaten seien minderwertiger, eine Art Lückenbüßer oder Geldbeschaffer.

Im Folgenden soll untersucht werden, was es mit diesen nicht oder in Sammelausgaben veröffentlichten Sonaten auf sich hat. Waren sie ungeeignet für eine oder mehrere Veröffentlichungen? Sind sie wirklich gar minderwertiger? Das Ergebnis wird aufmerken lassen.

(a) Die Sonaten von 1744 - 1752

Folgende Sonaten wurden in diesem Zeitraum geschrieben:

1744:

  • H 37 in fis, 1763 unter "Zweyte Fortsetzung" veröffentlicht
  • H 38 in d, 1755 unter "oeuvres melees" veröffentlicht
  • H 39 in E, 1755ff unter "oeuvres melees" veröffentlicht
  • H 40 in f,  1761 unter "musikalisches Allerley" veröffentlicht
  • H 41 in C, 1761 unter "collections recreatives" veröffentlicht
  • H 42 in D, unveröffentlicht

1745:

  • H 43 in G, unveröffentlicht

1746:

  • H 46 in C,  unveröffentlicht
  • H 47 in g,  unveröffentlicht
  • H 48 in F, vor 1768 unauthorisiert bei Huberty/Paris veröffentlicht
  • H 49 in F, unveröffentlicht

1747:

  • H 50 in Es, 1763 unter "Zweyte Fortsetzung" veröffentlicht
  • H 51 in B, erst 1802 veröffentlicht
  • H 52 in F, unveröffentlicht
  • H 53 in d, (per due tastature), unveröffentlicht

1748:

  • H 55 in F, vor 1768 unauthorisiert bei Huberty/Paris veröffentlicht
  • H 56 in G, vor 1768 unauthorisiert bei Huberty/Paris veröffentlicht
  • H 57 in d, unveröffentlicht

1749:

  • H 58 in F, 1755 unter "oeuvres melees" veröffentlicht
  • H 59 in C, 1762 unter "musikalisches Mancherley" veröffentlicht
  • H 60 in d, unveröffentlicht
  • H 61 in a, unveröffentlicht

1750:

  • H 62 in g, 1761 unter "Fortsetzung" veröffentlicht
  • H 63 in G, 1761ff unter "musikalisches Allerley" veröffentlicht
  • H 64 in G, unveröffentlicht

1751:

  • H 66 in e, 1761ff unter "musikalisches Allerley" veröffentlicht (Suite)

1752:

  • H 67 in D, 1757 in "raccolta.." veröffentlicht
  • H 68 in g, unveröffentlicht

In den neun Jahren sind immerhin 28 Sonaten entstanden, zwölf davon werden  erst sehr viel später in Sammelwerken veröffentlicht. Des weiteren fällt auf, dass in den letzten drei Jahren nur mehr sechs Sonaten entstanden sind - sicherlich ein Indiz dafür, dass CPE Bach mit der Abfassung des "Versuchs" stark in Anspruch genommen wurde. Trotzdem: CPE Bach hätte leicht Sonatenmaterial zur Hand gehabt, um sie in "6er Packs" zu veröffentlichen. Nichts dergleichen ist geschehen. Bemerkenswert: in dieser Periode schuf Bach 17 Klavierkonzerte, von denen sogar drei veröffentlicht wurden. Es ist ein deutlicher Hinweis auf die Wichtigkeit dieses Instruments bei Bach, aber auch auf die Erwartungen des Publikums. Klavierkonzerte sind keine Stücke für spielende Liebhaber, sondern für Virtuosen und zahlendes Publikum gedacht.

Wie schon angedeutet, könnte ihn ein schleppender Verkauf der württembergischen Sonaten veranlasst haben darüber nachzudenken, wie nun zu komponieren sei, wie man den Markt besser befriedigt, ohne dabei banal, seicht oder ähnliches zu werden. Offensichtlich waren die württembergischen Sonaten zu sehr nur für "Kenner" ausgelegt, die auch noch sehr gute Klavierspieler zu sein hatten. CPE Bach hat, trotz der hohen Ansprüche, die er an Spieler,  vor allem jedoch an seine Musik stellte, nie die kommerziellen Aspekte aus den Augen verloren.

Einen Hinweis  könnte die Sonate H 37 in fis geben, 1744, also kurz nach den württembergischen Sonaten, geschrieben. Sie unterscheidet sich nicht im Aufbau und Schwierigkeitsgrad von ihren Vorgängern und wird sehr viel später in der "Zweyten Fortsetzung" der Amaliensonaten publiziert werden, einer Folge von 18 Sonaten, die eher "Kenner" im Auge hat.

Im Folgenden öffnet sich uns das "Experimentierfeld" Bachs. Nicht, dass nun leichte Kost kommt, so etwas konnte er aus dem Ärmel schütteln, oder technisch anspruchslose Werke (die er übrigens auch geschrieben hat). Nein, an Form und Inhalt wird experimentiert.

Welche Fragen haben sich ihm vermutlich gestellt?

  1. "Sturm und Drang"- Ausdruck und Sonatenform.
  2. Umgang mit der Polyphonie. Es ist ja nicht so, dass Mitte des 18. Jhdts. die Polyphonie am Ende war, vor allem nicht in Norddeutschland. Der "stilo antico" erlebte eine Art Renaissance, vor allem in der geistlichen Musik; und polyphone Schreibweise galt noch lange als Aushängeschild für gebildete Komponisten.
  3. Geistige und technische Befriedigung von Liebhaberfähigkeiten ohne ins Leere zu fallen.

Um es vorweg zu sagen: leicht zu lösen sind diese Fragen nicht und CPE Bach ist es auch nicht immer gelungen.

"Sturm und Drang"- Ausdruck und Sonatenform

Die frühklassische Sonate hat sich recht schnell formal etabliert: dreisätzig (mäßig/schnell - langsam - schnell/sehr schnell), die Ecksätze in gleicher Tonart, im Aufbau identisch (Exposition, Durchführung, Reprise), der letzte Satz kein Rondo. Im langsamen Mittelsatz waren einige Freiheiten erlaubt, häufig wird jedoch die Sonatensatzform angewandt.

CPE Bach hat sich in den preussischen/württembergischen Sonaten minutiös an diesen Aufbau gehalten. Alle Sätze werden in ihrer Tonart und mit Doppelstrich beendet. Bei den im Ausdruck "neutraleren" preussischen Sonaten kommt das noch hin, hingegen wird CPE Bach vermutlich bei den mit "Sturm und Drang" angereicherten württembergischen Sonaten den Widerspruch zwischen Sonatenform und Ausdruck gespürt haben. Einen deutlichen Hinweis hierfür geben die Sonaten H 46 in C und H 47 in g, beide 1746 entstanden.

Das Experimentierfeld bei H 46 sind die Satzübergänge und der 2. Satz. Zwar enden die Sätze noch mit einem Doppelstrich, jedoch ist der erste Satz dann noch lange nicht zu Ende. Dieser Satz bietet übrigens auch ein gutes Beispiel für CPEB´s abrupte harmonische und thematische Brüche:

Sein Anfangsmotiv dient als Einleitung zum "langsamen" Satz, der wechselnde Tempobezeichnungen hat (Adagio, Andante, Allegro). Die drei unterschiedlichen Tempobezeichnungen geben drei unterschiedliche Ausdruckszustände wieder: Adagio = gequält, verzweifelt; Andante = beruhige dich wieder, die Welt ist doch schön; Allegro, immer mit dem Anfangsmotiv des ersten Satzes verbunden = Verzweifelter, melde dich wieder. Der Satz endet im "attacca" - Schluss. Der hier gewollte Ausdruck, nämlich die musikalische Darstellung unterschiedlicher menschlicher Empfindungen, ist mit den Mitteln des Sonatensatzes nicht mehr sinnvoll zu bewältigen.

Ein völlig anderes Feld wird bei H 47 betreten. Hier geht es einem "Heiligtum" der Sonate, nämlich dem ersten Satz, an den Kragen. Die "Exposition" ist eine taktfreie Fantasie (Papa lässt schön grüssen!), gefolgt von rollenden, oktavierten Sechszehnteltriolen, die in einem Adagioschluss in B enden.

Das nun folgende Allegro in B könnte der Anfang eines "klassischen" Sonatensatzes sein, jedoch weit gefehlt. Der Satz wird ständig durch taktfreie Fantasieteile und rollende Triolen unterbrochen, und endet im "attacca" Schluss in D Dur für das folgende Adagio in G. Auch hier ist zu beobachten, wie CPE Bach versucht, sich von den formalen Fesseln zu befreien oder zumindest die Form so zu erweitern, dass ein von ihm gewollter Ausdruck möglich wird.

Sonatensatz und Polyphonie

Dass CPE Bach die polyphone Schreibweise perfekt beherrschte, steht völlig außer Zweifel. Etwas anderes ist es hingegen, polyphone Formen (Fugen, Kanons etc.) mit der Sonate in Einklang zu bringen. Auch Haydn und Mozart haben sich mit dem Problem auseinandergesetzt (z.B. Fugen-Schlusssätze in manchen Streichquartetten), ohne es als eine endgültige oder befriedigende Lösung anzusehen. CPE Bach ist diesen Weg nicht gegangen - es gibt in seinen Sonaten keine Fuge als Kopf - oder Schlusssatz. Er experimentiert mit dem Einfügen polyphoner Felder zur Spannungserzeugung oder Steigerung. Als Beispiele hierfür mögen die Sonaten H 38 in d, H 40 in f, H 41 in C, H 55 in F und H 59 in C dienen. Im Gegensatz zu der preussischen Sonate in A (H 29) und der württembergischen in h (H 36), deren Schlusssätze überwiegend polyphon konzipiert sind, beschränkt sich CPE Bach in den o.a. Sonaten auf das Einfügen polyphoner Momente zur Spannungssteigerung meist in den Durchführungen. In H 38, letzter Satz wird in der Durchführung Ober - und Unterstimme plötzlich einige Takte lang im Kanon - Abstand ein Achtel - und mit Dezimensprüngen geführt, bevor es zu Reprise kommt. H 40 hat einen polyphon konzipierten Kopfsatz in Sonatenform - es ist ein einmaliges Experiment geblieben.

In H 41 ist der Kopfsatz eine verlängerte "Invention" in Sonatensatzform. Geballte Spannung durch plötzlich auftretende Polyphonie erfährt der Spieler/Hörer in H 59, erster Satz, Durchführung. Die Sonate H 60 (in d) wirkt ebenfalls "altertümlich".  Als Ergebnis kann eine gelungene Integration der Polyphonie in den Sonatensatz angezeigt werden.

Sonaten für "Liebhaber"

Mit den "Liebhabern" ist es schon ein Kreuz. Sie sind da, wollen Musik spielen oder hören, sind keine ausgebildeten Musiker, haben meist geringere technische Fähigkeiten und, sehr entscheidend, sind bei weitem in der Überzahl. Für Komponisten und Verleger bedeutet diese Tatsache ein nicht zu unterschätzendes Risiko. Sind die Werke geistig oder technisch zu schwierig, lässt sie der "Liebhaber" links liegen, sind sie zu seicht, werden sie von der Kritik gnadenlos verrissen. CPE Bach war sich dieser Problematik voll bewusst.

Auch auf diesem Gebiet fängt er an zu experimentieren. Waren die preussischen Sonaten für "Liebhaber" technisch noch einigermaßen zu bewältigen, stellten die württembergischen Sonaten doch erhebliche Ansprüche an seine Fähigkeiten (wie die erste "große" Klaviersonate Beethovens an den durchschnittlichen Klavierschüler). So werden die technischen Ansprüche in den meisten Sonaten zwischen 1744 - 1752 etwas zurückgenommen, jedoch ohne qualitative Einbussen. Dazu gehören auch "Fehlschüsse" wie H 63 und H 68, die sicherlich nicht zu den Sternstunden seiner Sonaten zählen. Doch das Ergebnis lässt sich sehen: Sonaten auf hohem geistigen Niveau, auch für "Liebhaber" spielbar - einfach geniale Musik.

(b) Die Sonaten aus dem Jahr 1744

CPE Bach schrieb im Jahre 1744 6 Sonaten. Beispielhaft sollen sie hier besprochen werden, als gelungene Zeugnisse aus seinem "Labor".

  • H37 in fis; Allegro - Poco andante - Allegro assai
  • H38 in d; Allegretto - Andante sostenuto - Presto
  • H39 in E; Allegro - Andante - Vivace di molto
  • H40 in f; Allegro - Andante - Spirituoso e staccato
  • H41 in C; Allegro assai - Andantino - Allegretto
  • H42 in D; Allegro - Andantino ovvero Allegretto - Allegro

Zuerst: welches Instrument? Bach, Hofcembalist in Berlin hatte dort vornehmlich 2 Instrumenttypen unter seinen Fingern: Cembali (2 -manualig) und Fortepianos von Silbermann. Über sein Instrumentarium zuhause sind wir leider nicht informiert. Mit Sicherheit war ein Silbermann-Clavichord darunter (Geschenk seines Vaters). Obwohl, wie oben ausgeführt, grundsätzlich alle Tasteninstrumente infrage kommen, ist es doch von gewissem Reiz, bei diesen 6 Sonaten unterschiedliche Instrumente auszuprobieren. Die Sonaten in fis, f und C sind härter, konservativer und eignen sich besser für das Cembalo. Hingegen sind die Sonaten in d, E und D weicher, empfindsamer und entwickeln ihre Schönheiten besser auf dem Fortepiano.

Mit dieser (natürlich sehr individuellen) Feststellung sind wir schon in die Analyse eingestiegen. Bieten die Einleitungssätze der Sonaten in fis, f und C ein eher traditionelles Gewand: Toccaten -ähnlich (fis), angewandte Polyphonie (f), eine 2-stimmige Invention ( C ), setzt der 1. Satz der Sonate in d auf Empfindsamkeit, während die Sonaten in E und D mit "modernen" Eröffnungsthemen eines Sonatensatzes brillieren.

Ebenso modern schreiten die Durchführungen dieser Sonaten fort. Besondere Beachtung sollte die Durchführung der E-Dur Sonate (1. Satz) finden: wir verstehen jetzt, warum Beethoven sich die Werke CPE Bachs noch im 19. Jhdt von Breitkopf zuschicken ließ.

Die langsamen Sätze erlauben sich mehr Freiheiten. Ein strenges Trio, jedoch mit empfindsamer Melodik schmückt die Sonate in fis, ein Duo finden wir in der Sonate in d, die langsamen Sätze der Sonaten in E und D sind ruhig und gelassen traurig. Einmalig hingegen ist der langsame Satz der Sonate in C: ein pathetisches Trauerszenario, kurz und prägnant, von eindringlicher Schärfe. Sätze dieser Art finden wir nicht bei unseren Wiener Klassikern. Wie überhaupt Bachs langsame Sätze schwer zu übertreffen sind.

Auch in den Schlusssätzen weicht Bach von manchen uns  liebgewordenen Vorstellungen ab: von wegen ein etwas beschwingter Kehraus in Rondoform. Nein, er kann noch "draufsatteln", klar erkennbar in den Sonaten in fis, d und f. "Sprechende" Generalpausen, Polyphonie und harmonische Schärfen sind angesagt.

Zusammengefasst: leichte Kost wird nicht geboten, weder spielend noch verstehend, dafür umso befriedigender.

(c) Zwischenergebnis

CPE Bach sieht sich gezwungen, zwischen den Ansprüchen, die er und "Kenner" an seine Kompositionen stellen und den Fähigkeiten der "Liebhaber" Kompromisse zu schließen. Rein kommerzielle Überlegungen zwingen ihn dazu. Um dieses Ziel zu erreichen nimmt er sich eine "Veröffentlichungsauszeit". Während dieser Zeit experimentiert er an Form und Inhalt von Klaviersonaten. Gleichzeitig schreibt er seinen "Versuch". Beide, "Versuch" und die Sonaten, bilden die Grundlage seines später so erfolgreichen Schaffens, vor dem wir heute voller Bewunderung stehen.

Der "Versuch über die wahre Art das Klavier zu spielen"

Berlin, Mitte des 18. Jahrhunderts: Rationalismus und Aufklärung, Ordnung und Zurückhaltung, alles sehr preußisch (im positiven Sinne). Ein junger, musikbegeisterter König, selber Traversiere spielend, versammelt in kurzer Zeit Spitzenkräfte für sein Orchester, darunter auch Quantz und CPE Bach. Kein Wunder, die Stadt entwickelt sich zum Zentrum des musikalischen Schrifttums in Deutschland, kritisch und wissenschaftlich. CPE Bachs wesentlich besser bezahlter Kollege Joachim Quantz, Flötenlehrer und musikalischer Intimus des großen Friedrich, eröffnet - tatkräftig unterstützt vom Bachschüler Johann Friedrich Agricola - 1752 den wissenschaftlichen Buchreigen mit seinem "Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen" - ein lesenswertes Buch; vielleicht haben sich Quantz und Bach abgesprochen. 1753 erscheint Bachs "Versuch über die wahre Art das Klavier zu spielen" im Druck. Dieses, für Verständnis und Interpretation der Klaviermusik des 18. Jahrhunderts unerlässliche Buch soll hier nicht besprochen werden, es gibt genügend Literatur darüber. Wichtig sind in diesem Zusammenhang die dem Buch beigefügten 6 Sonaten (später sind noch 6 weitere Sonatinen hinzugekommen). Wichtig aus 2 Gründen:

  1. den minutiös angegebenen Fingersätzen in beiden Systemen,
  2. der abschließenden freien Fantasie.

Die Sonaten sind streng progressiv nach technischem Schwierigkeitsgrad aufgebaut, von leicht bis "intrikat" (nämlich die Fantasie). Aber überall ist äusserst genau der Fingersatz von Bach mit angegeben. Nun ist es mit Fingersätzen so eine Sache für sich. Die Hände sind nicht alle gleich, jeder Spieler hat seine "Präferenzen". Aber, sie sollten doch sehr intensiv studiert werden, nicht, um sie unbedingt zu gebrauchen, sondern, um einem nicht gewollten, aber häufig von Lehrern verlangtem Legatospiel zu entgehen. Leicht kann festgestellt werden, dass bei Anwendung des Bachschen Fingersatzes ein Legatospiel häufig gar nicht möglich ist. Es ist folglich auch nicht erwünscht.

Die abschließende Fantasie ist ein "finsteres Stück", von CPE Bach so bezeichnet. Völlig offensichtlich ist die Keimzelle dieser Fantasie die "Chromatische Fantasie" seines Vaters. Kaum ein Klavierwerk des Vaters hat bei seinen Schülern so viel Furore gemacht wie dieses. Eröffnete es doch die Möglichkeit, frei von traditionellen Formen zu komponieren, und kam es doch dem Verlangen des "Sturm und Drangs" und dessen schroffen Ausdruckspathos damit sehr entgegen. JS Bach koppelt seine Fantasie noch mit einer anschließenden Fuge. Hat CPE Bach dies auch beabsichtigt? Es gibt nämlich von ihm eine Clavierfuge in c, H75.5 aus der Zeit. Das Themenmaterial dieser Fuge ist eine Referenz vor dem Vater, ja selbst das chromatische Fugenthema des Vaters wird eindeutig am Anfang zitiert.* Wie dem auch sei, diese Fuge wird nicht mit in den "Versuch" aufgenommen. Verständlich: an Clavierfugen mangelte es nicht in Berlin um die Mitte des 18. Jahrhunderts. * Hier: CPE Bachs-Fugenthema und BWV 574, 853, 903

Auf CPE Bachs freie Fantasien wird noch eingegangen. Die Grundlage hierfür legt er in dieser Fantasie und einer kurz vorher komponierten Fantasie in Es H348, die lange Zeit unter der Autorschaft Nichelmanns segelte.

"Versuch einer böswilligen Unterstellung"

Bekanntlich entwickelte sich der "Versuch" zu einem beachtlichen Geschäftserfolg. Er brachte es immerhin, mit Ergänzungen, auf drei Auflagen zu Bachs Lebzeiten. Die Frage sei erlaubt: musste CPE Bachs aus geschäftlichen Gründen nach dem "Versuch" noch gesondert Klavierwerke veröffentlichen? Reichte es nicht aus, hin und wieder in Sammelwerken präsent zu bleiben? Die Fragen sind natürlich nicht zu beantworten, aber berechtigt. Zumindest nimmt er hinsichtlich der Veröffentlichung von größeren Solo-Klavierwerken von 1753 bis 1760 wiederum eine Auszeit.

Trotzdem, für die Zeit von 1753 - 1760 gilt:  es sind eine Vielzahl von Klaviersonaten entstanden, die entweder in Sammelwerken, den "Amaliensonaten und Fortsetzungen" landeten oder überhaupt nicht veröffentlicht wurden.

(a) Claviersonaten 1753 - 1760

1754:

  • H 77 in G; 1762/63 veröffentlicht in "Mancherley"
  • H 78 in Es; unveröffentlicht

1755:

  • H 83 in E; unveröffentlicht
  • H 84 in F; unveröffentlicht (Orgel?)
  • H 85 in a; unveröffentlicht (Orgel?)
  • H 86 in D; unveröffentlicht (Orgel?)
  • H 87 in g; unveröffentlicht (Orgel?)

1756:

  • H 105 in d; 1756/57 veröffentlicht in "Raccolta"
  • H 106 in e; unveröffentlicht

1757:

  • H 116 in B; 1755-1765 veröffentlicht in "Oeuvres melees"
  • H 117 in E; 1755.1765 veröffentlicht in "Oeuvres melees"
  • H 118 in g; 1762/63 veröffentlicht in "Mancherley"
  • H 119 in G; 1762/63 veröffentlicht in "Mancherley"
  • H 120 in C; 1762/63 veröffentlicht in "Mancherley"
  • H 121 in c; unveröffentlicht

1758:

  • H 126 in B; veröffentlicht in "Reprisensonaten"
  • H 127 in c; 1761 veröffentlicht in "Fortsetzung"
  • H 128 in d; 1761 veröffentlicht in "Fortsetzung"
  • H 129 in e; 1763 veröffentlicht in "Zweyte Fortsetzung"
  • H 130 in F; 1779 veröffentlicht in "Kenner und Liebhaber I"
  • H 131 in a; 1755-1765 veröffentlicht in "Oeuvres melees"
  • H 132 in h; veröffentlicht in Collections recreatives"
  • H 133 in A; 1755-1765 veröffentlicht in "Oevres melees"
  • H 134 in B; unveröffentlicht (Orgel?)
  • H 135 in A; unveröffentlicht

Ab 1759 wird dann fast ausschließlich für die Reprisensonaten samt Fortsetzung und Zweyte Fortsetzung geschrieben. Ausnahmen sind: H 143 in a (1759); H 152 in B (1760), die beide nicht veröffentlicht wurden. Auch in diesem Zeitraum werden 27 Sonaten geschrieben, von denen zwölf überhaupt nicht gedruckt vorliegen, zehn später in Sammeldrucken erscheinen, fünf in geplanten Großveröffentlichungen übernommen werden. Immerhin: auch hier ist eine stattliche Anzahl unveröffentlichter Sonaten vorhanden, selbst wenn vermutet werden könnte, dass die Sonaten für Orgel? später herausgegeben werden sollten.

Der 1753 erschienene "Versuch" mit den "Probestücken" hat Bachs Ruf als Clavierkomponist - und Theoretiker sehr gefestigt und "internationalisiert". Geschäftlich bedeutete er einen großen Erfolg. CPE Bachs sah für den Augenblick keinerlei Veranlassung, weitere Clavierkompositionen, auch aus finanziellen Aspekten folgen zu lassen. Die Veröffentlichungstätigkeit wurde vorerst eingestellt, zumindest was Clavierwerke betraf. Hin und wieder wurden Claviersonaten, Fugen und kleine "Piecen" in Sammelwerken veröffentlicht. Erst 1758/59 entschließt er sich, einen neuen, großen "Veröffentlichungszyklus" anzugehen, der ab 1760 in den "Reprisensonaten, Fortsetzung und Zweyte Fortsetzung" mündet.

(b) "Sonaten und Piecen" - Einige Ergebnisse dieser Periode

Ein Blick in Bachs Werkverzeichnis (Wotquenne, Helms, NV) zeigt folgendes: neben Sonaten wurden eine Vielzahl von "Piecen" komponiert, die, wie die Sonaten, nur teilweise veröffentlicht wurden. Hinter diesem Begriff versammeln sich Fugen, Charakterstücke, Variationen, Menuette/Polonäsen, Fantasien, Solfeggien. In der Zeit zwischen 1744 - 1759 fallen vor allem die Fugen und Charakterstücke ins Gewicht.

Einer von Bachs Kollegen in Berlin war FW Marpurg (siehe auch weiter unten). Gut ausgebildet, ein Verehrer der Werke JS Bachs, wurde er alsbald eine der Zentralfiguren des aufgeklärten musikalischen Berlins. Auch er schrieb 1753 ein grundlegendes Werk: "Abhandlung von der Fuge", etwas trocken, aber trotzdem lesenswert. In diesem Buch rückt JS Bach als Fugenkomponist in den Mittelpunkt, wen wundert es. Möglicherweise sind aus der Zusammenarbeit mit Marpurg CPE Bachs Fugen entstanden, unter dem Motto "ich kann es auch"! Er hat es hinlänglich bewiesen. Die uns überlieferten Fugen wurden von Marpurg veröffentlicht. Hier der Beginn der Fuge in c-Moll:

Die Charakterstücke geben einige Rätsel auf: Diese singulär dastehenden Klavierwerke tragen alle einen Namen. So weit sie "les langueurs tendres", "l´irresolue" heißen, spiegelt sich der Name in der Musik wieder, aber was versteckt sich hinter " La Stahl", "la Bergius"? Sind es Freunde oder Bekannte Bachs? Deren Ehefrauen? Musikalisch gesehen, sind hier kleine Edelsteine zu entdecken. "La Gleim" scheint eine Vorliebe für harte Dissonanzen gehabt zu haben, "La Bergius" schätzte wohl auch die Polonaisen WF Bachs (die in E wird zitiert), "L´Herrmann" muss recht schwierig gewesen sein, "La Boehmer" im Gegensatz dazu wohl eher robust, hingegen war "La Stahl" eine tragische Figur.

Kurzum, auf engsten Raum lernt hier der Spieler die Feinheiten der Kompositionen CPE Bachs kennen, ohne gleich eine Sonate üben zu müssen.

Unter den nicht veröffentlichten Sonaten aus dieser Zeit ragen besonders heraus: H83 in E, die in ihrem ersten Satz ein Orchesterkonzert bietet, die fünf Sonaten für "Orgel", die ohne Pedal auskommen und vor allem die Sonate H121 in c. CPE Bach hat sicherlich mit Absicht diese Sonate, zusammen mit wenig weiteren, nie zur Veröffentlichung freigegeben. Sie sprengt die Grenzen der damaligen Klaviermusik, weniger aus Sicht der Technik, sondern vielmehr aus Rezeptionsgründen. Wer wollte schon, mit Ausnahme weniger Kenner, eine so gewalttätige und verzweifelte Musik spielen und hören? Wahrscheinlich gehört diese Sonate zu den Kompositionen, die er nur für sich, ohne Rücksicht auf das Publikum geschrieben hat.

Die "Reprisensonaten samt Fortsetzung und Zweyte Fortsetzung"

Prinzessin Amalia, Schwester Friedrichs des Großen, war eine große Musikliebhaberin, nach damaligem Sprachgebrauch eine Kennerin. Sie spielte Klavier und Orgel (ohne Pedalprobleme), und leistete sich JP Kirnberger als Hofmusikus. Auf ihn kommen wir weiter unten noch zu sprechen. Auch hatte sie einen dezidierten Musikgeschmack: ihre Vorliebe galt der "gearbeiteten" Musik, besonders derjenigen JS Bach, aber auch seiner Söhne. Die "neuen Töne" lehnte sie strikt ab. Ihre Urteile über die Fähigkeiten manches Komponisten lesen sich noch heute mit Vergnügen: recht hatte sie. Zur Bestreitung ihres Unterhalts wurde sie als Äbtissin des Reichsstifts Quedlinburg inthronisiert. Ihr widmete nun CPE Bach, nach längerer Veröffentlichungspause sechs Claviersonaten. Er wusste, wen er vor sich hatte: eine Kennerin mit gutem Geschmack. So nimmt es nicht wunder, dass diese Sonaten hinsichtlich Technik und Intellekt in Richtung "Kenner" tendieren. Um Unfähigkeit und Schindluder zu verhindern, schreibt Bach die veränderten Reprisen (Wiederholungen) minutiös aus, daher auch der Name Reprisensonaten. Für die nachfolgenden Generationen sind die veränderten Reprisen von unschätzbarem Wert, lernen wir doch, wie und wo gekonnt verändert werden darf (oder muss). Dies gilt nicht nur für die Werke Bachs und seiner norddeutschen Zeitgenossen, sondern auch für Haydn und Mozart.

Die Frage stellt sich, worin liegen die Unterschiede zwischen den preussischen/württembergischen Sonaten und der Sammlung von 18 Sonaten von 1760 - 1762? Sind Erfahrungen aus der kompositorischen Tätigkeit zwischen 1744 und 1758 in dieses Projekt eingeflossen?

Als erstes wird festgestellt, dass die "klassische" 3-sätzige Sonate nicht immer eingehalten wird. Eine Sonate, H 140 in c, besteht nur aus einem Satz; H 151 in B hat eine langsame Einleitung, die abgeändert auch als Einleitung für den langsamen Satz dient, der letzte Satz enthält eine veritable Coda (Beethoven wird gut hingesehen haben). Hingegen fängt H 158 in g-moll an, um die folgenden Sätze in G-Dur fortzusetzen. Außer vielleicht H 129 in e ist "Sturm und Drang" in den Ecksätzen nur mehr abgemildert vorhanden, die harmonische Brüche werden für den Spieler/Hörer vorbereitet, alles ist sanglicher, abgerundet. In den langsamen Sätzen ist der "Sturm und Drang" häufig präsent - dynamische und harmonische Brüche sind an der Tagesordnung. Um mit eigenen Worten zu sprechen, gibt CPE Bach in den Ecksätzen etwas "Zucker", aber nicht übertrieben. Die Sonatenform wird mit Ausnahmen beibehalten, ist aber nicht mehr unabdingbar.

Polyphone Schreibweise, immer nur partiell und kurz, wird spannungssteigernd eingesetzt. Als Beispiel sollen hier die Ecksätze der Sonate H 127 in c dienen. Aber auch die langsamen Sätze haben ihre polyphonen Episoden. Die Polyphonie fügt sich jedoch wunderbar in den Gesamtablauf ein, sie wird nicht als etwas "Besonderes" empfunden.

Wie schon beschrieben, hat CPE Bach die Ecksätze der Sonaten von denschroffsten Härten befreit, etwas "Zucker" gegeben. Insofern hat er den "mentalen" Fähigkeiten der Liebhaber Rechnung getragen. Spieltechnisch gesehen ist ihm dies nicht gelungen - die Sonaten sind im Allgemeinen so schwierig zu spielen wie die Württembergischen. Höchst bedeutend ist jedoch die inhaltliche Konzeption dieser Sonaten. Die Klaviersonate steht nicht mehr als eine mögliche Musikform unter mehreren (Suiten, Präludien/Fugen, Toccaten), sondern hat sich zu der maßgeblichen, dominierenden Gattung der Klavierkomposition emanzipiert. Das Schreiben von Klaviersonaten entwickelt sich zum Prüfstein für angehende oder etablierte Komponisten, ihre Meisterschaft zu präsentieren. Hierfür hat CPE Bach mit den Reprisensonaten mehr als nur Grundlagen gelegt. Als Beispiel soll die Sonate in e, H129 dienen.

Der erste Satz, Allegro, beginnt im piano das Thema auf der Bassgrundlage von repetierenden Klopftönen , um sofort im zweiten Takt in ein pianissimo zu fallen. Das "klagende" Anfangsmotiv wird jäh im dritten und vierten Takt beantwortet: im fortissimo (ohne Übergang), mit einem vollgriffigen "Orchesterschlag", weiterhin auf der Basis der Klopfbässe. Takt fünf und sechs beenden die Einführung des Themas im piano, ohne Bassrepetitionen.

Hier finden wir auf engstem Raum ein von verschiedenen Seiten beleuchtetes Hauptthema vor. Es wird einem auch sofort klar, dass ein Sonatensatz dieser Prägung keines zweiten Themas bedarf, welches hier noch nicht einmal andeutungsweise in Erscheinung tritt. Das Thema wird im Laufe des Satzes zergliedert, variiert, enharmonischen Spannungen unterworfen, bis es in Takt 50 im fortissimo zu einer Generalpause kommt, die zur Reprise überleitet. Der Satz endet, gewisslich verzweifelt im pianissimo. Der zweite Satz, ein Adagio in E-Dur, heißt der "Einschnitt". Der Einschnitt bezeichnet eine Kompositionsweise, bei der der Abschluss einer Phrase tonal dem Beginn des nächsten Abschnitts zu entsprechen hat. CPE Bach folgt dieser "Vorschrift" minuziös, und kommt zu erstaunlichen Ergebnissen, die bei aller Ruhe und Gesanglichkeit dieses Satzes aufhorchen lassen. Wer sich schon etwas in die Musik CPE Bachs eingehört oder -gespielt hat, weiß, dass der 3. Satz keine Entspannung oder einen wie auch immer gearteten friedlichen Ausklang bringen wird. Ein "Allegro di molto" im ¾ - Takt ist  schon fast eine Garantie für Unruhe und Zerrissenheit, vor allem, wenn dies alles in einer Molltonart steht (Mozart wird in seiner c-moll Sonate KV 457 30 Jahre später ebenso verfahren). Genau dies tritt auch ein: Schroffe dynamische Wechsel, Generalpausen, weite Sprünge, enharmonische Wechsel kommen nun gehäuft vor. Die Sonate endet abrupt und böse.

Dass die Sonaten eine ungeheure Fernwirkung hatten, steht außer Zweifel: nicht unbedingt auf Haydn oder Mozart, aber umso stärker auf Beethoven. Wer die Sonaten H139 in d, H126 in B (vor allem den letzten Satz "Tempo di Minuetto), H151 in B, H128 in d spielt oder hört, weiß, wovon die Rede ist.

Zurück zu Bachs Realitäten: Als hart kalkulierender Komponist und Geschäftsmann hat er die 18 Sonaten drucken lassen, um Geld zu verdienen. Ob dieser Fall eingetreten ist, wissen wir nicht, Zweifel sind angebracht. Denn er legt wieder eine "Veröffentlichungspause" ein.

Der weitere Fortgang

Unter der Voraussetzung des oben gesagten, war die nächste "Großveröffentlichung" Bachs abzusehen: die sechs "Leichten Sonaten" von 1766. Hier bemüht sich CPE Bach, und es gelingt ihm auch, den pianistischen Fähigkeiten der Liebhaber Rechnung zu tragen. Diese Sonaten sind technisch, nicht interpretatorisch einfacher, ohne an Inhalt zu verlieren. Es darf nicht wundern, dass von 1763-1770, neben den "Leichten Sonaten" noch zahlreiche weitere Sonaten entstanden sind, die - wir kennen das schon - nicht oder sehr viel später veröffentlicht werden. In diesem Zusammenhang fallen die 1770 veröffentlichten "Damensonaten" (natürlich vorher komponiert) nicht schwerwiegend auf. Sie sind eine "Fortsetzung" der "Leichten", nur etwas schwächer.

Welche Sonaten entstanden im Zeitraum von 1763-1770?

1762:

  • H 162 in C; veröffentlicht 1766 in "Leichte Sonaten"
  • H 163  in C/a; veröffentlicht 1766 in "Leichte Sonaten"

1763:

  • H 173 in f; veröffentlicht 1781 in "Kenner und Liebhaber III"
  • H 174 in A; unveröffentlicht
  • H 175 in B; unveröffentlicht
  • H 176 in e; unveröffentlicht
  • H 177 in D; unveröffentlicht
  • H 178 in C; unveröffentlicht
  • H 179 in d; veröffentlicht 1765 unter "Verschiedene Tonstücke"

1764:

  • H 180 in B; veröffentlicht 1766 unter "Leichte Sonaten"
  • H 181 in a; veröffentlicht 1766 unter "Leichte Sonaten"
  • H 182 in h; veröffentlicht 1766 unter "Leichte Sonaten"
  • H 183 in F; veröffentlicht 1766 unter "Leichte Sonaten"

1765:

  • H 184 in d; veröffentlicht 1770 unter "Damensonaten"
  • H 185 in D; veröffentlicht 1770 unter "Damensonaten"
  • H 186 in A; veröffentlicht  1779 unter "Kenner und Liebhaber I"
  • H 187 in G; veröffentlicht 1779 unter "Kenner und Liebhaber I"
  • H 188 in e; veröffentlicht 1783 unter "Kenner und Liebhaber IV"
  • H 189 in Es; unveröffentlicht

1766:

  • H 192 in A; unveröffentlicht
  • H 204 in F; veröffentlicht 1770 unter "Damensonaten"
  • H 205 in C; veröffentlicht 1770 unter "Damensonaten"
  • H 206 in B; veröffentlicht 1770 unter "Damensonaten"
  • H 207 in A; veröffentlicht 1770 unter "Damensonaten"
  • H 208 in d; veröffentlicht 1781 unter "Kenner und Liebhaber III"
  • H 209 in c; veröffentlicht 1785 als Einzelwerk
  • H 210 in g; veröffentlicht 1770 unter "Vielerley"
  • H 211 in B; unveröffentlicht
  • H 212 in B; unveröffentlicht
  • H 213 in E; unveröffentlicht

1769:

  • H 240 in B; veröffentlicht 1770 unter "Vielerley"

Danach wird nur mehr für die Sammlungen "Kenner und Liebhaber" geschrieben, bis auf die Sonaten H248 in C, H280 in G (für´s Bogenklavier) und H298 in c; diese wurden nicht veröffentlicht.

Die sechs Sammlungen für Kenner und Liebhaber

Als alter Mann, hochberühmt, aber immer noch geschäftstüchtig, beschließt Bach, seine letztendlich umfangreichste Klavierveröffentlichung anzugehen. Nicht zuletzt auf Bitten mehrerer Freunde, aber auch um sich ein bleibendes Denkmal zu setzen und natürlich des "schnöden Mammons" wegen, fängt er mit der Komposition der sechs Sammlungen für Kenner und Liebhaber an. Zu Anfang sicherlich als sechs Bände zu je sechs Sonaten ausgelegt, wird dieses Konzept schon ab der zweiten Sammlung verändert. Wie so häufig bei ihm, sind es kommerzielle Überlegungen. Sechs "emanzipierte" Claviersonaten, das ist eher etwas für Kenner, wo bleiben die Stücke für den Liebhaber? Also, werden ab der zweiten Sammlung die Sonaten etwas kürzer, drei Sonaten werden durch Rondos ersetzt. Das Rondo galt als ein Synonym unter anderen für Liebhabermusik und hatte bei Kennern einen schlechten Ruf: zu seicht, nur auf äußerliche Effekte aus, jeder Hampelpampel könne Rondos schreiben usw. usf. Bach wurde wegen der Hereinnahme von Rondos wiederum von Kennern kritisiert. Er stellt sich auch auf diese Kritik ein und veröffentlicht ab Sammlung vier mit folgender Ordnung: Zwei Sonaten (eher für Kenner), zwei Rondos (eher für Liebhaber), zwei Fantasien (nur für Kenner). Diese Ordnung wird bis zum Ende der Sammlungen durchgehalten, mit übrigens sinkenden Verkaufserfolgen. Insgesamt hat er trotzdem recht gut daran verdient.

Bach hat jedoch keinesfalls alle Stücke (Sonaten, Rondos, Fantasien) neu komponiert. Er greift teilweise auf schon früher geschriebene Sonaten zurück, die natürlich noch nicht publik waren. Unter der Voraussetzung, dass Bach mit den Sammlungen für Kenner und Liebhaber ein abschließendes, krönendes Werk als Klavierkomponist schaffen wollte, ist es aufschlussreich, welche frühen Werke er aufnimmt. Aus seiner Sicht hatte er die Wahl: geeignet, zu schwach, zu schwierig, immer unter Berücksichtigung künstlerischer und kommerzieller Erwägungen. Seine Wahl fällt auf: H130 in F (1758); H186 in A (1765); H187 in G (1765); H173 in f (1763); H188 in e (1765). Warum diese Sonaten und nicht andere? Er hatte schließlich genügend zur Auswahl. Sie waren wohl aus seiner Sicht "verkaufsfähige Spitzenprodukte", um moderne Termini zu gebrauchen. Wer Lust hat, kann beim spielen der Sonate in f einmal die Beethoven Sonate in f, op. 2,1 daneben legen. Lächelt jemand? Diese CPE Bach-Sonate erlangt 100 Jahre später noch einmal Berühmtheit: ein "Herausgeber" sah sich gemüßigt, die harmonischen Schärfen in der Durchführung des ersten Satzes zu mildern, und das Ende des 19. Jahrhunderts! Mit dieser Tat entfachte er einen Sturm der Entrüstung, an dessen Spitze J. Brahms stand. Dieser hat übrigens CPE Bach hoch geschätzt und etliche Werke von diesem herausgegeben.

Bach war sicherlich kein begeisterter Anhänger des Rondos, selten macht er Gebrauch von diesen (in einigen Claviertrios befinden sich welche), schon gar nicht in seinen Konzerten (eine Stereotype der süddeutschen Klassik). Die Hereinnahme von Rondos in die Sammlungen für Kenner und Liebhaber hatte, wie schon erwähnt, einen kommerziellen Hintergrund. Wer jetzt jedoch annimmt hier "leichte" Musik anzutreffen, irrt sich gewaltig. Das meist schlichte Rondothema wird subtil verarbeitet, verändert, zerlegt und taucht unverhofft in weit entfernten Tonarten wieder auf. Gibt es das bei Rondos süddeutscher Komponisten? Doch, bei J. Haydn in seiner Fantasia in C Hob. XVII/4, einem Rondo. Er hat nach eigener Aussage viel von Bach gelernt.

Über Bachs Fantasien ist schon viel geschrieben worden. Von Beginn an war der Musikwelt klar, dass JS Bachs Chromatische Fantasie ein Tor zu einer neuen Ausdruckswelt innerhalb der Claviermusik geöffnet habe. Seine Schüler haben dies mit Sicherheit registriert und begierig aufgegriffen. So auch CPE Bach. Relativ frühzeitig setzt er sich mit der Klavierfantasie auseinander. Schon wahrscheinlich vor 1745 schreibt er seine Fantasie in Es H348, vom Anfang bis zum Ende ohne Taktstriche. Rauschende Passagen, geballte Akkorde, schroffe Harmoniewechsel, Rezitativeinschübe, aber auch piano/pianissimo -Stellen wechseln einander ab. Ein lohnendes Werk. CPE Bach muss ein begnadeter Improvisator am Klavier gewesen sein, er war berühmt dafür. So schreibt er als krönenden Abschluss seines Versuchs die Fantasie in c. Es wurde behauptet, dass dieses Werk ein "Tombeau" auf den Tod seines Vaters sei. Möglich ist es: die Töne B-A-C-H werden markant im fortissimo zitiert. Mit diesem Werk bricht CPE Bach das Aufschreiben von Fantasien ab. Er wird sie wohl weiter improvisiert haben (schade, dass wir nicht mehr dabei sein können) und notiert einige kleine Fantasien (eher Solfeggios) für Sammelwerke. Erst in seinen letzten Lebensjahren wird er von Freunden gedrängt, Exempel dieser Kunst der Nachwelt zu hinterlassen. Er stimmt zu und baut sie ab der vierten Sammlung für Kenner und Liebhaber ein, je zwei pro Sammlung. Hier, lieber Spieler und Hörer, wird man schnell an seine Grenzen geführt, sei es technisch oder intellektuell.

Eine "freie Fantasie" bringt es mit sich, dass sie vom Aufbau und Inhalt nur schlecht zu definieren ist. Sie wäre ja sonst keine "freie Fantasie". Grundsätzlich gehören dazu: freies Passagenwerk über die gesamte Klaviatur; schroffe, unvorbereitete harmonische und dynamische Wechsel; weite Teile ohne Taktstriche (was das Üben besonders schwierig gestaltet); rezitativische Einschübe, aber auch Takt gebundene, mehr "sangliche" Partien, bei denen es harmonisch auch nicht zimperlich zugeht. Zu keiner Zeit entsteht jedoch bei Bachs Fantasien der Eindruck, dass hier "sinnlos" vor - sich - hin - improvisiert wird. Jede folgt einem planvollen Aufbau, der erschlossen sein will.

Ab der vierten Sammlungen werden die Fantasien in das Gesamtwerk aufgenommen. Die beiden Fantasien in Sammlung 4 in Es und A haben die größte Anhäufung an taktfreien Bestandteilen. Bei den Fantasien der fünften Sammlung wird der taktfreie Anteil schon geringer. In der letzten Fantasie der Sammlung 6, die auch das gesamte Werk abschließt, ist der taktfreie Anteil auf die Schlusszeile reduziert. Hat ihm jemand gesteckt, dass taktfreie Stücke schwierig und intrikat sind und somit nicht den Verkauf fördern? Wie dem auch sei, jede dieser Fantasien ist ein Juwel, welches bei geändertem Lichteinfall neue Facetten offenbart. So ergeht es einem beim spielen oder hören dieser Fantasien: es werden stets neue Türen geöffnet.

Sonstige Clavierwerke

Neben den hier angeführten Werken hat CPE Bach noch eine Vielzahl weiterer Stücke für das Klavier komponiert: Menuette, Polonaisen, freie Sätze, Solfeggien, Variationen und dergleichen. Es würde den Rahmen des Buches sprengen, auf diese alle einzugehen. Auch ist sicherlich manches davon eine Eintagsfliege, Pflichtkomposition. Drei Werke hingegen dürfen nicht übersehen werden: das "Concerto per il Cembalo solo" H 190, die Variationen über "Folie d´Espagne" H 263 und das Rondo in e, "Abschied vom Silbermannschen Clavier" H 272, mit Sicherheit für das Clavichord geschrieben.

30 Jahre nach dem "italienischen Konzert" seines Vaters macht sich Sohn Carl Philipp daran, ein entsprechendes Gegenstück zu komponieren. Musik für das zweimanualige Instrument war in vielerlei Hinsicht eine Herausforderung: für den Komponisten, der zeigen musste, dass er diese Materie beherrscht und zusätzlich noch das finanzielle Risiko zu tragen hatte (wer besaß schon ein teures zweimanualiges Instrument?) und für den Spieler. Für diesen waren damals schnelle Manualwechsel genau so schwierig zu vollziehen wie heute. Üben ist also angesagt. Das Concerto in C besteht aus drei Sätzen und ist breit ausgelegt. Nicht nur, dass Tutti/Soli- Stellen mit "forte" und "piano" gekennzeichnet sind, sondern im "Tutti" erlaubt sich Bach zusätzliche "piano"- Angaben, die das Interpretieren nicht erleichtern. Der langsame Satz ist von besonderer Eindringlichkeit und Schönheit, ein gleichwertiges Gegenstück zu dem langsamen Satz aus dem "Italienischen Konzert".

Das Komponieren von Variationen zählte zu den Alltagspflichten eines Komponisten, der Bedarf muss recht groß gewesen sein. Die meisten Stücke klingen auch danach, Ausnahmen sind selten wie die Goldberg Variationen von JS Bach. Mit der "Folia" von CPE Bach ist eine weitere Ausnahme zu vermelden. Das "Übliche" kommt nicht vor: rechte Hand Triolen, linke Hand Triolen, rechte Hand Sechszehntel, linke Hand Sechszehntel. Minore, usw. usf. In der "Folia" wird das magere Thema in alle Tiefen ausgelotet. Jede Variation ist ein "Charakterstück".

Philipp Emanuel schreibt, dass er noch nie "klagende" Rondos komponiert habe, dies sei nun eines. Er klagt, sein geliebtes Silbermann Clavichord freiwillig abgegeben zu haben, also eine Klage mit "Augenzwinkern". Es entwickelt sich eine getragene, resignative Musik, schicksalsergeben aber doch gelassen. Der Empfänger des Clavichords, Baron Grotthuß, antwortet übrigens mit einem Rondo "Freude über den Empfang des Silbermannschen Claviers", durchaus lohnend zu spielen. Als Instrument kommt in erster Linie das Clavichord infrage.

Noch einmal: welches Instrument darf es sein?

Aus dem Vorhergehenden ist zu entnehmen, dass CPE Bach nicht nur ein großartiger Klavierkomponist, sondern auch ein hart kalkulierender Geschäftsmann war. Es steht zu vermuten, dass er schon aus diesem Grunde von einer genau spezifizierten "Clavier"- Instrumentenangabe Abstand genommen hat. Er bezeichnet als Instrumente "Clavier", "Cembalo", "Clavecin", später auch "Fortepiano", hält sich also an die übliche Terminologie der Zeit. Eine genaue Spezifizierung hätte den Verkauf der Noten beeinträchtigen können.

Nun hat sich CPE Bach in seinem "Versuch" (Einleitung, § 11, 12, 13) über die Klavierinstrumente ausgelassen. Dort steht nun der Satz. "Das Clavicord ist also das Instrument, worauf man einen Clavieristen aufs genaueste zu beurtheilen fähig ist". Dieser Satz wird von etlichen "Alte Musik - freaks" dahin gehend ausgelegt, dass das Clavichord das bevorzugte Instrument Bachs gewesen sei, sodass folglich eine "gute" Interpretation seiner Werke nur auf dem Clavichord möglich wäre. Lassen Sie sich nicht in die Irre führen: Dies ist eine einseitige und vor allem nicht begründete Auslegung jenes Satzes. Bach ist auf allen Klavierinstrumenten gut zu interpretieren. Besitzen Sie ein Clavichord, spielen Sie ihn fleißig darauf, es lohnt sich allemal. Besitzen Sie keines, spielen Sie ihn genauso fleißig, und sehen Sie getrost über die selten vorkommenden "Bebungspünktchen" hinweg. Das zwangsweise Weglassen der Bebung tut dem Werk keinerlei Abbruch.

Epilog

Damit wäre ein knapper Überblick über das Gesamtschaffen der Klavierwerke Bachs erstellt, nach heutigem Stand des Wissens. Er zeigt uns einen großen, genialen Klavierkomponisten, berühmt und verehrt zu seiner Zeit, durch widrige Umstände lange ins Abseits gestellt, und nun eine Wiederauferstehung feiernd. Recht so. Verständlich: nicht alles was er schrieb ist genial, herausragend, aber für welchen großen Meister gilt dies schon? Da gab es Auftragsgeber mit seltsamen geschmacklichen Vorlieben, lustlose Perioden, Schüler etc, und alle wollten oder mussten bedient werden.

Von CPE Bach wissen wir, dass er häufig Auftraggeber berücksichtigen musste, und nur wenig für sich selbst geschrieben hat.

Die berechtigte Frage stellt sich, wie sind die "nicht -veröffentlichten" Werke zu bewerten. Sicherlich, die in seiner Lebenszeit entstandenen, nicht publizierten Werke können größten Teils als Experimentierfeld angesehen werden, wie schon dargestellt. Manches mag auch aus seiner Sicht zu schwach für eine Veröffentlichung gewesen sein. Andere hingegen, wie z.B. H 47; H 51; H 121; H 213; H 248: waren dies Sonaten nur für sich, ohne Rücksicht auf Spieler/Liebhaber/Hörer komponiert? Wir müssen davon ausgehen, dass er ein "Tombeau" für sich 1787 geschrieben hat, die Fantasie in fis, H300. Hier zeigt er noch einmal all sein Können, seine Genialität, sein intellektuelles Vermögen, seine Improvisationskunst. Das Werk ist schwierig zu spielen und zu verstehen - genial aber "abgedreht", würden wir heute sagen.

JS Bach hätte wie CPE Bach geschrieben, wenn er denn in seiner Zeit gelebt hätte. Das sind die Worte eines international bekannten Clavierinterpreten seiner Werke. Gibt es ein größeres Kompliment?