Gottlieb Friedrich Müller
Auf den Namen dieses Komponisten stößt man bei der Biographie des Dessauer Hofkapellmeisters Friedrich Wilhelm Rust, bei Burney, "Tagebuch einer musikalischen Reise" und im "Musikalischen Allerley, 1763, 65. Stück". So schreibt W. Hosäus in seinem Aufsatz "Friedrich Wilhelm Rust und das Dessauer Musikleben 1766 - 1796" über die Lehrer Rusts:
"Als er im J. 1762 seine Universitätsstudien vollendet hatte, eröffnete ihm der bekannte hochbegabte Fürst Leopold Friedrich Franz von Anhalt-Dessau (1740 bis 1817), mit dem er in fast gleichem Lebensalter stand und dessen Spiel genoß er oft als Knabe in Wörlitz gewesen war, seine Absichten in Beziehung auf Hebung des musikalischen Lebens in Dessau. Begeistert für die Absichten des Fürsten beschloß R. nunmehr erst noch eine strenge, zielbewußte musikalische Schule durchzumachen. Nach einigem Unterricht bei G. F. Müller in Dessau, von dem er sich bald die eigenthümlichen Schönheiten der Goldberg'schen Spiel art aneignete,"
Daraus geht hervor, dass Müller ein Schüler Goldbergs war.
Burney über GF Müller:
"Herr Müller, Hoforganist zu Dessau, ist ein Mann von großer Geschicklichkeit. In seinen Kompositionen entdeckt man Geschmack, Einbildungskraft und eine große Fertigkeit der Hände. Allein sein Ehrgeiz, bei jeder Gelegenheit neue Passagien einzuführen, macht seine Stücke oft strotzend, unnatürlich und affektiert, und zu diesem Fehler kommt noch der seinen Landsleuten so gewöhnliche, seine Gedanken bis zu einer einschläfernden Länge hinauszuspinnen."
Also, hinsehen und hinhören, ob wir heute noch so wie Burney urteilen können.
Des weiteren bringt das "Musikalische Allerley" 1763 eine Sonate in C-Dur von Herrn Müller, Hoforganist in Dessau.
Weitere biographische Daten Müllers sind derzeit aus dem Sterberegister der luth. St. Johannis Kirche in Dessau ersichtlich. Er starb dort am 15. Februar 1763, wurde also nur 25 Jahre alt.
Eine Schülerschaft Goldbergs stimmt jedoch neugierig, also macht man sich auf die Suche. Schnell wird man fündig: die Bibliothek des Brüsseler Conservatoriums beherbergt "Six Sonates pour le Clavecin, dediees son Altesse Serenissime Monseigneur Leopold Frederic Francois Prince D´Anhalt etcetc" par Gottlieb Frederic Müller", Breitkopf/Leipzig 1762. Die sieben Sonaten liegen mir nunmehr vor.
Die sechs dem Anhaltiner Fürsten gewidmeten Sonaten stehen in den Tonarten A-Dur (Sinfonia o Sonata); C-Dur; a-moll; B-Dur; D-Dur; c-moll. Hinzu kommt die "Allerleysonate" in C-Dur. Beim Spielen/Hören fallen sofort zwei Dinge auf:
- die Satzzahl dieser Sonaten ist variabel. Von den sieben erhaltenen Sonaten sind nur drei Sonaten dreisätzig, drei Sonaten sind viersätzig, eine Sonate ist fünfsätzig.
- Von einem stilistischen Einfluss CPEB´s ist kaum etwas zu bemerken, gleich wie bei Schwanenberger.
Damit der Leser einen ersten Eindruck über die Kompositionsweise Müllers erhält, hier der Beginn des 1. Satzes (Adagio) der 6. "Anhaltiner Sonate in c-moll:
Die ernste, getragene Adagioeinleitung endet im 11. Takt mit einem vollgriffigen Akkordschlag, welcher zu einem Rezitativ führt, harmonisch brisant, in allen Opernwassern gewaschen. Dergleichen findet man nicht häufig in der Sonatenliteratur aus der Zeit. Diese Sonate bildet eine Ausnahme, da sie mit einem langsamen Satz beginnt, dem ein Moderatosatz folgt, und mit einem "Allegro" endet.
Dass Müller auch andere Einleitungssätze schreiben konnte, zeigt der Beginn der "Allerleysonate":
Der Beginn dieser Sonate erinnert doch etwas an den der Goldbergsonate in D-Dur, gleich wie der Einsatz "rasanter" Lauftechnik incl. gebrochener Akkorde über mehrere Octaven, die gehäuft in seinen Sonaten vorkommen. Diese Technik hat Müller, wie das "Einführen neuer Passagien" offensichtlich von seinem Lehrer Goldberg übernommen, Werke, die Burney nicht kannte (es sind ja auch recht wenige überliefert).
Der 2. Satz dieser "Allerleysonate" ist ein Andante voller schönster "neuer Passagien":
Die weitere Gestaltung der Sonaten hält Müller variabel. Bei 3-sätzigen Sonaten endet das Werk mit einem "Tempo di Minuetto" (1. Anhaltiner Sonate) oder einem "Presto" (3. Anhaltiner Sonate):
Weitere Sätze sind dann in den anderen Sonaten noch vorhanden: Minuett/Trio, Polonoise. Bei den Polonoise blitzen wieder die Goldbergschen Polonoisen durch.
Auch hier ist ein kleiner Schritt in die Öffentlichkeit hetan worden. Miklos Spanyi stellte auf den Clavichordtagen 2015 in Hechingen die Sonate C-Dur vor. Hier ein Auszug aus der Rezension:
"Das Samstagabendkonzert durfte wieder Miklós Spányi bestreiten. Auf dem wunderschönen Instrument von Joris Potvliege spielte er eine Sonate des Dessauer Hoforganisten Gottlieb Friedrich Müller, dessen Lebensdaten leider nicht bekannt sind. Man weiß aber, dass er der Lehrer von Friedrich Wilhelm Rust war und dass Johann Gottlieb Goldberg wahrscheinlich ein Lehrer Müllers war. Hier zu hören war die Sonate in C-Dur, erschienen 1762, mit den Sätzen Allegro – Andante – Presto – Menuetto – Polonoise aus: „Six Sonates pour le Clavecin …” (Breitkopf/Leipzig 1762). Die sechs dem Anhaltiner Fürsten gewidmeten Sonaten stehen in den Tonarten A-Dur (Sinfonia oder Sonata), C-Dur, a-moll, B-Dur, D-Dur und c-moll. Die hier gespielte Sonate ist die einzig fünfsätzige und trotz ihrer Länge verstand es Müller, die Komposition abwechslungsreich zu gestalten. Unter den Händen Miklós Spányis konnten sie hier in Hechingen in der Villa Eugenia das Publikum berühren und in Erstaunen versetzen."